Vorsicht vor Experten im TV

Gestern im Laufe des Nachmittags rief mich eine Kollegin eines privaten Fernsehsenders an. Ich sei doch Fachjournalist für Technik und mithin Experte für Luftfahrt.

 

- Nein, Luftfahrt eher nicht, habe ich keine Ahnung davon. Ich hätte auch keinen Flugschein, antwortete ich. Ich arbeite ja an der Schnittstelle von Informationstechnik und Politik, da liegen meine Themen.

 

Ob ich denn wisse, wie Fly-by-wire funktioniert?

 

Das schon, antwortete ich, das sei eines der IT-Themen, die ich gründlich recherchiert hätte. Die Bitte der Sendeplanerin: ein Kollegengespräch über Fly-by-wire als Absturzursache der German-Wings-Maschine.

 

Davon riet ich ab, weil noch nicht einmal Indizien für solch eine Vermutung vorlägen. Wie Fly-by-Wire funktioniert, darüber könne man reden, aber als Absturzursache - da sei die Faktenlage noch völlig blank. Die Kollegin war genervt. Dann könnten wir doch zumindest darüber sprechen, dass vereiste Sensoren zum Absturz geführt haben könnten. Ich entgegnete, dass es auch dafür erst mal überhaupt keine Hinweise gebe. Ob ich das ausschließen könnte, wollte sie wissen. Nein, natürlich kann ich das zu einem so frühen Zeitpunkt, bei einer so dünnen Faktenlage nicht ausschließen.

 

Na also, dann würden wir uns über vereiste Sensoren als mögliche Absturzursache unterhalten, war ihre Vorgabe - nun schon sichtlich genervt.

 

Tut mir leid, sagt ich ihr. Ich sei da ein sehr altmodisch arbeitender Journalist und würde die Themen und meine Aussagen dazu erst immer ziemlich gründlich recherchieren, bevor ich auf Sendung ginge.

 

O.k. meinte die Kollegin, alte Säcke würden ihr Zielpublikum eh nicht so ansprechen.

 

Wir beendeten unser Telefongespräch also fast im Einvernehmen.

 

Mein Gott, bin ich froh, ein alter Sack zu sein, der es sich noch leisten kann, ordentlich zu recherchieren.

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Kommentare: 24
  • #1

    Danksager (Mittwoch, 25 März 2015 09:48)

    Danke! Danke, dass es noch solche alten Säcke gibt, die sich auf bewährte journalistische Tugenden berufen und sich nicht von jungen Handtäschchen in eine vorgewärmte Ecke drängen lassen!

  • #2

    Jens Brehl (Mittwoch, 25 März 2015 10:00)

    Klasse reagiert, Herr Kollege! Solche Spekulationen dienen doch eher dazu Sendeplatz zu füllen, als Zuschauer zu informieren...

  • #3

    Michael (Mittwoch, 25 März 2015 10:01)

    Sehr gut! In die RTL2 News passt ja auch kein ordentlicher Journalismus...

  • #4

    Radbert Grimmig (Mittwoch, 25 März 2015 10:45)

    Es ist keineswegs so, dass nur RTL2 derartigen "Qualitätsjournalismus" abliefert. Ich sag nur ZDF Maischberger gestern. Erst sich lang und breit darüber auslassen, dass man jetzt nicht spekulieren darf und die Hinterbliebenen mit Szenarien quälen - und dann tun sie die ganze restliche Sendung NICHTS anderes als eben genau das, wieder und wieder und wieder.

  • #5

    Giulietta (Mittwoch, 25 März 2015 12:31)

    Danke! Danke! Danke! Kann man nicht oft genug auf FB teilen. Grauenhaft. Auf der anderen Seite kenne ich die Situation der lieben Kollegin auch - da hat so ein Chefredakteur sie beauftragt, der Sache den Dreh zu geben, und dann muss man "liefern". Ich bin auch froh, eine alte Schachtel zu sein :-)

  • #6

    Hendrik Klein (Mittwoch, 25 März 2015)

    Genau so, Herr Kollege. Aber dieses Vorgehen beschränkt sich leider längst nicht mehr auf die Privatsender, da sind die Öffentlich Rechtlichen nicht mehr viel besser...

  • #7

    Autopilotuser (Mittwoch, 25 März 2015 16:48)

    Danke.

  • #8

    gp (Mittwoch, 25 März 2015 23:13)

    "Mein Gott, bin ich froh, ein alter Sack zu sein, der es sich noch leisten kann, ordentlich zu recherchieren."

    Es ist schon befremdlich, wenn vorstehende journalistische Selbstverständlichkeit durch ein "Chapeau!" hervorgehoben werden muss.

    Evtl. kann der Artikel "Vorsicht vor Experten im TV" ne Skizze für einen Beitrag in der DLF-Reihe "DAS DIGITALE LOGBUCH" sein? :-)

    Vielleicht fragt die Dame demnächst mal bzgl. einer Expertise zu Espresso-Maschinen an. Die sollen auch Sensoren haben ...

  • #9

    Alex K. (Donnerstag, 26 März 2015 00:07)

    Die spinnt doch echt, ist leider heute gang und gäbe. Alle rennen der Schlagzeile hinterher und die anderen Medien schreiben von der Schlagzeile ab. Wenn ich das schon lese: "Flugexperte hat berichtet" oder "ein ehemaliger Lufthansa-Experte sagte" usw.. Hauptsache i-wie die Aussage mit einem Experten bekräftigen, ohne wirklich die Namen zu benennen. Warum? Weil keiner zu diesem Zeitpunkt etwas sagen kann, eben nur spekulieren und seine Fantasie freien lauf lassen.

    Ich finde ihre Entscheidung richtig. Grüße

  • #10

    Quotenbeitrag (Donnerstag, 26 März 2015 00:19)

    Die Reaktion ist richtig ich hätte in den diesen Fall nicht anders gehandelt.

  • #11

    Frank Kolb (Donnerstag, 26 März 2015 00:31)

    Danke für diese Entscheidung. Danke für diesen Eintrag.

    Heute waren jede Menge Experten im Fernsehen, die jemanden kannten, die mit jemandem verwandt waren, der mal ein Flugzeug gesehen hat. Alte Säcke können sehr sympathisch sein.

  • #12

    Hamburg (Donnerstag, 26 März 2015 01:22)

    "O.k. meinte die Kollegin, alte Säcke würden ihr Zielpublikum eh nicht so ansprechen."

    Wie muss man sich das Zielpublikum denn vorstellen? Nervöse Eichhörnchen, mit einer Aufmerksamkeitsspanne von wenigen Sekunden und ohne jegliches Interesse an Fakten?

  • #13

    Kabukai (Donnerstag, 26 März 2015 01:32)

    Respekt!

  • #14

    Jacky van der Groenen (Donnerstag, 26 März 2015 01:48)

    Ich kann hier nur applaudieren dafür, wie Sie reagiert haben. Toll, und gibt ein wenig an Glauben zurück, dass Medienscheiße nicht von jedem mitgemacht wird. Danke dafür.

  • #15

    gp (Donnerstag, 26 März 2015 02:07)

    @Hamburg

    "Wie muss man sich das Zielpublikum denn vorstellen? Nervöse Eichhörnchen, mit einer Aufmerksamkeitsspanne von wenigen Sekunden und ohne jegliches Interesse an Fakten?"

    Das Eichhörnchen "an sich" ist zielorientiert unterwegs. Es sammelt Nüsse etc zwecks Bestandsgarantie ...

    Die von "Hamburg" erwähnten nervösen "Individuen(?)" latschen gerne mal qua Dauerblick auf angewinkelten Arm in einen Hundeschiss.

    Natürlich ist das dann nachträglich kommentiert kein (analoger) Fehltritt.

    Man wollte halt mal die supergeile und total angesagte "DoggyShitStep"-App testen.


  • #16

    Frank (Donnerstag, 26 März 2015 10:16)

    Interessant wäre, welcher "Experte" für Sie eingesprungen ist?

  • #17

    marie (Donnerstag, 26 März 2015 11:11)

    alte säcke...ist daz ein fashon detale?

  • #18

    Demster (Donnerstag, 26 März 2015 11:19)

    Unfassbar... Hut ab vor Deiner Integrität!
    Schämen möge sich die "Kollegin"...

  • #19

    Manolo Klein (Donnerstag, 26 März 2015 12:11)

    Danke für diese Klarstellung über die heutigen Arbeitsweisen vieler Kollegen. Das müssten mehr Leute mal öffentlich sagen.

  • #20

    Reinhold Schlosser (Donnerstag, 26 März 2015 12:46)

    Ich weiß nicht wie es anderen Menschen geht, aber ich stelle zunehmend fest, dass unsachliche und/oder unwahre Bericht von Journalisten verfaßt werden, die aus den neuen Bundesländern stammen. Das mag Zufall sein, aber in den letzten 64 Jahren habe ich gelernt das es Zufälle nicht gibt. Außerdem habe ich persönlich die Bewohner der ehem. DDR als notorische Lügner und/oder Tatsachenverdreher kennen gelernt. Und das nicht erst nach der Wende. Die in meinen Augen ein "Trojanisches Pferd" ist. Ich rate jedem Leser zur Vorsicht!!

  • #21

    Peter Welchering (Donnerstag, 26 März 2015 13:04)

    Hallo Herr Schlosser,

    ich ahbe diese Erfahrung nicht gemacht und halte auch nichts von so pauschalen Urteilen, wie dem oben von Ihnen geäußerten.

  • #22

    Marie (Donnerstag, 26 März 2015 15:38)

    Ist jetzt die DDR Schuld am Absturz? Ich komme nicht mehr mit. Ich kann nur schnell einwerfen: Ich wünschte mir mehr Journalisten wie den Verfasser dieses Beitrags. Alt oder jung.

  • #23

    Daniel O. (Donnerstag, 26 März 2015 21:11)

    Herr Schlosser ... mir ist aufgefallen, dass viele Dummschwätzer Unterhosen tragen. Welche Farbe hat Ihre?

  • #24

    Daniel Lücking (Montag, 30 März 2015 20:00)

    Gut zu wissen, dass es Journalisten gibt, die das noch durchziehen. Auch, wenn sich die Frage nicht stellen sollte und die Implikation mir nicht gefällt: es ist leider auch eine Haltung, die man sich leisten können muss.
    Mittel und langfristig aber die beste Entscheidung.

Was kann ein Comiccast?