S21 - Wenn Journalisten nicht mal mehr Bahnhof verstehen dürfen

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Stuttgart 21 ist zum Streitfall in vielen Redaktionen geworden

 

Vorbemerkung:

 

Dieser Artikel ist im DJV-Blickpunkt 4/10 erschienen und hat eine intensive Diskussion über innere Pressefreiheit, den verantwortungsvollen Umgang mit Tendenzen und den Missbrauch journalistischer Positionen zur Folge gehabt. Weit über den Fall einer Berichterstatung über S21 hinaus hat sich diese Diskussion dann weiter entwickelt zu einer Diskussion über den in diesem Artikel auch genannten Kreischef der Ludwigsburger Kreiszeitung, der in der Vergangenheit seine CDU-Bürgermeisterklientel nicht nur durch Veröffentlichung falscher Tatsachenbehauptungen publizistisch (recht) in  Szene zu setzen versuchte, sondern mitunter auch politische Hetze mit Journalismus verwechselte.

 

Ich veröffentliche den Beitrag hier noch einmal auf Wunsch einiger Kollegen, die eine weitere kritische Diskussion der Berichterstattung der Ludwigsburger Kreiszeitung wünschen und hoffen, dass dieser Artikel dazu beiträgt.

 


 

 

 

Wer über Stuttgart 21 berichtet, hat momentan gleich mehrere Probleme. Wer seriös recherchiert, beide Seiten zu Wort kommen lässt und abgewogen berichtet, fängt sich nicht selten Kritik sowohl von den Befürwortern des Bahnprojektes, als auch von den Gegnern ein. Empörte Leserbriefe, Abo-Abbestellungen und regelrechte Beschimpfungen sind an der Tagesordnung. Der Streit um Stuttgart 21 ist emotional enorm aufgeladen.

 

Und dieser Streit wird auch in den Redaktionen geführt. Denn auch unter Journalisten gibt es natürlich Befürworter wie Gegner des Bauvorhabens. Würde diese Debatte nur in den Meinungsspalten geführt, wäre die Welt in Ordnung. Doch einige Kollegen berichten von subtiler Einflussnahme aus den Chefetagen ihrer Häuser auf die S21-Berichterstattung. In anderen Fällen haben politische Mandatsträger aus dem Befürworter- wie aus dem Gegner-Lager in sogenannten „Hintergrundgesprächen“ einzelnen Kollegen gegenüber auch schon mal mit „handfesten Konsequenzen“ gedroht, wenn die Berichterstatung sich nicht ändern würde.

 

Einer der prominentesten Kritiker an der S21-Berichterstatung ist zweifellos Josef-Otto Freudenreich, ehemaliger Chefreporter der Stuttgarter Zeitung. Er wirft seinem früheren Blatt vor, zu lange eine reine Hofberichterstattung in Sachen pro Stuttgart 21 betrieben zu haben. Und auch Uwe Vorkötter, ehemaliger Chefredakteur der Stuttgarter Zeitung räumt ein, dass man das Projekt Tiefbahnhof vielleicht zu stark zu einem Projekt „Stuttgarter Zeitung 21“ gemacht habe.

 

Die S21-Gegner gehen da noch weiter. Sie unterstellen der Stuttgarter Zeitung, kräftig in der Spätzle-Mafia mitzumischen und Stuttgart 21 gemäß den Weisungen aus der Villa Reitzenstein publizistisch befördert zu haben. Beweisen lässt sich eine solche Einflussnahme der Staatskanzlei nicht. Doch schnell ist in diesem Zusammenhang das Argument auf dem Tisch, dass die Südwestdeutsche Medien Holding, zu der neben Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten auch die Süddeutsche Zeitung und der Schwarzwälder Bote gehören, Kundin der Landesbank Baden-Württemberg sei.

 

Im Jahr 2008 benötigte die Südwestdeutsche Medien Holding nämlich schnell mal zusätzliche 300 Millionen Euro, um ihre Beteiligung an der Süddeutschen Zeitung aufstocken zu können. Die Landesbank Baden-Württemberg soll mit einem Darlehen ausgeholfen haben. Über die genauen Finanzierungskonditionen wollen sich weder Vertreter der Landesbank noch Richard Rebmann äußern, der den Deal als Geschäftsführer im Jahre 2008 eingefädelt hat.

 

Doch ein Blick auf das Personaltableau der Landesbank offenbart schon einiges. Denn Vorsitzender der LBBW-Trägerversammlung ist der baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus. Vorsitzender des Verwaltungsrates der Landesbank ist der CDU-Landtagsabgeordnete Peter Schneider, zugleich Präsident des baden-württembergischen Sparkassenverbandes. Und als einflussreiche Mitglieder des Verwaltungsrates gelten der Stuttgarter Oberbürgermeister Wolfgang Schuster, Finanzminister Willi Stächele, Wolfang Reinhart, Minister für Bundesangelegenheiten sowie der SPD-Fraktionschef im Landtag Claus Schmiedel, der sich bis vor wenigen Wochen noch sehr lautstark für Stuttgart 21 eingesetzt hat.

 

Joachim Dorfs, seit Anfang 2008 Chefredakteur der Stuttgarter Zeitung, hebt zwar hervor zwar, dass es während seiner Amtszeit keinen einigen Versuch der Politik gegeben habe, auf die Berichterstattung Einfluss zu nehmen. Auch betont er, dass sein Blatt schon traditionell Distanz zur Landesregierung halte, die Kritiker des Blattes scheint er damit jedoch nicht so richtig überzeugen zu können.

 

Thomas Hauser, Chefredakteur der Badischen Zeitung, hatte immerhin den Mut, am 5. Oktober eine falsche Berichterstattung seines Blattes einzuräumen. Zum Polizeieinsatz im Stuttgarter Schlossgarten am 30. September schreibt er in seinem Leitartikel: „Dass unser Korrespondent sich in diesem Tohuwabohu ein eigenes Bild machte, ist ehrenwert. Dass er im Eifer des Gefechts unpräzise beschrieb und so eine brennende Fackel zu Brandsätzen wuchs, ist bedauerlich.“

 

Den Lesern der Badischen Zeitung reichte diese Entschuldigung nicht. So schrieb Leser Tjark Voigts im Online-Forum des Blattes: „“Ich vermisse leider Ihre Erkenntnis, dass die BZ ein Medium der Meinungsmache ist, und dass sie in dieser Funktion bestimmte Informationen weg lässt und bestimmte bringt, so das die veröffentlichten Inhalte ohne dieses fehlende Gegengewicht  viel zu stark die Leser beeinflussen“.

 

Die Berichterstattung über die Auseinandersetzungen um Stuttgart 21 könnten dazu beitragen, die lange Zeit unterschätzte „Königsdisziplin“  des Journalismus, das Lokale nämlich, wieder attraktiv zu machen. Die journalistische Ausgangssituation ist großartig: Komplizierte Sachverhalte, verhärtete Fronten, ein hochgradig emotionalisierte Auseinandersetzung. Das schafft nicht nur hohe Auflagen, sondern ruft geradezu nach handwerklich sauberer journalistischer Aufklärung und seriöser Einordnung. Hier ist sogar leidenschaftlicher Meinungsjournalismus gefragt, der die Argumente pro und contra klar benennt.

 

Doch in vielen Redaktionen ist diese Chance schlicht vertan worden. Statt dessen wurden die Leser mit einseitigen und advokativen Beiträgen bedient, die bei ihnen oftmals den Reflex auslösten: „Ich will das nicht mehr lesen“. Die gängige Hofberichterstattung über ihren jeweiligen Schultes haben die Leser baden-wütttembergischer Lokalzeitungen in der Vergangenheit ja noch hingenommen, aber bei Stuttgart 21 kochten auch hier die Emotionen hoch. Wütende Einträge in den Diskussionsforen der Online-Auftritte von Tageszeitungen, Briefe mit deutlichen Worten an Chefredaktionen und Verlagsleitungen und Abo-Abbestellungen waren die Folge.

 

Josef-Otto Freudenreich betont zu Recht, dass es an Informationen zu Stuttgart 21 auf diversen Web-Seiten nicht fehlt. Der mündige Bürger und Web-Nutzer braucht also tatsächlich keine Tageszeitung mehr, um sich über die Auseinandersetzung über Stuttgart 21 zu informieren. Aber so mancher Leser einer Tageszeitung hätte gern eine unparteiische Einordnung und Zusammenfassung gehabt, die ihm von seiner Lokalzeitung dann in Sachen Stuttgart 21 vorenthalten wurde.

 

Statt dessen fühlt sich vermutlich der eine oder andere Kollege aus dem Lokalen wohl eher auf dem Kriegspfad als Parteisoldat. Bestes Beispiel: Günter Bächle, Kreischef der Ludwigsburger Kreiszeitung, CDU-Stadtrat, Kreisrat, Regionalrat. Bächle fiel nicht nur in der Vergangenheit durch advokative Berichterstattung für seine CDU-Bürgermeister im Kreis auf, sondern lässt sich auch gern als Entdecker von Stefan Mappus feiern. Zu der einseitigen S21-Berichterstattung ihres Kreischefs wollte sich die Chefredakteurin der Ludwigsburger Kreiszeitung, Ulrike Trampus, gegenüber dem Blickpunkt nicht äußern.

 

Die Leser seiner Kreisseiten konnten denn auch lesen, dass Stuttgart 21 für die Ditzinger die Fahrzeit zum Flughafen halbiere, der gesamte Landkreis Ludwigsburg von der Tieferlegung des Stuttgarter Hauptbahnhofs profitiere, die Ludwigsburger eine geringere Umlage für Stuttgart 21 zahlen müssten, weil der Verband Region Stuttgart Rücklagen dafür angreife, und dass bereits im Jahr 1991 trotz des Widerstandes von Bahnprojektgegnern der erste ICE durch den Kreis Ludwigsburg fahren konnte.

 

Ob Otto-Josef Freudenreich solche Beispiele im Sinne hatte, als er bedauerte, dass die Lokalzeitungen es versäumt hätten, in Sache Stuttgart 21 eine Mediatorenrolle einzunehmen? Die Stuttgarter Zeitung und die Stuttgarter Nachrichten wollen diese Mediatorenrolle wohl nachholen. Immerhin laden sie nun Gegner und Befürworter von Stuttgart 21 zu Konferenzen ein, veranstalten Podiumsdiskussionen zum Bahnprojekt und berichten über die eigenen Veranstaltungen, in denen beide Seiten zu Wort kommen.

 

Doch nicht nur der Lokaljournalismus hat Chancen verpasst, die ihm die Debatte um Stuttgart 21 vom Ansatz her eröffnet hätte. Auch politische Mandatsträger haben Chancen zum ehrlichen Dialog mit Journalisten über ihre Einstellung zu Stuttgart 21 verpasst. Denn von  subtilen Hinweisen für die Berichterstattung über die unverblümte direkte Einflussnahme in sogenannten „Hintergrundgesprächen“ haben Politiker der Regierungsparteien im Ländle einiges versucht, um Journalisten „auf Linie“ zu bringen, die für überregionale Medien berichten. Für einen Rundfunkjournalisten hörte der Spaß an der Debatte mit den Stuttgart-21-Befürwortern auf, nachdem ein Mandatsträger ihm freundlich mitteilte, mit welchen Rundfunkräten seines Hauses er in so freundschaftlichem Kontakt stehe, dass ein Gespräch mit den Räten sich auf die berufliche Situation des Reporters auswirken könne.

 

marke33

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Kommentare: 19
  • #1

    Wilhelm (Dienstag, 15 Februar 2011 20:18)

    Ich kenne Bächle, diesen Rechtsausleger. Seit mindestens 20 Jahren verwechselt der CDU-rechte Hetze mit Journalismus. Wann wird solchen Propagandisten endlich das Handwerk gelegt? Ich fordere ausdrücklich dazu auf. Es reicht!

  • #2

    Nik (Dienstag, 15 Februar 2011 20:22)

    Stillgestanden! Rechts Um! Das war die journalistische Ansage von Bächle und seinen Rechten. Das ist jetzt vorbei. Wir haben das Internet, und das ist das Ende eurer gelenkten einseitigen Hetzberichterstattung. Und das ist gut so!!

  • #3

    Erika (Mittwoch, 16 Februar 2011 11:11)

    Da hilft tatsächlich nur eines: solchen Tendenzjournalismus nicht mehr unterstützen, weder durch Kauf einer Zeitung noch durch ein Abo, noch durch Anzeigen.

  • #4

    Thorsten (Mittwoch, 16 Februar 2011 11:13)

    Das Problem tendenzgeleiteter Lokalzeitungen hat sich bis 2018 erledigt. Wir wollen sie nicht, wir brauchen sie nicht, wir lesen sie nicht - also werden sie vom Markt verschwinden.

  • #5

    Ex-Redakteurin (Mittwoch, 16 Februar 2011 11:44)

    Ich habe mal unter Bächle gearbeitet. Das Problem ist ganz einfach: Bächle gibt mit Hilfe seiner Vorgesetzten die Tendenz pro CDU vor, und sein Verleger verdient mit dieser Tendenz gutes Geld. Das hat man sich auch von Stuttgart 21 erwartet, aber der Anzeigensegen blieb aus. Mit der Berichterstattung ist der Verlag sozusagen in Vorleistung gegangen. Mit fairer Berichterstattung oder sauberem Journalismus hat das alles nicht mehr zu tun. Ich habe so einen Druck gespürt, dass ich regelrecht krank wurde und arbeite heute gesund und munter woanders. Ein bisschen dürfen dann einzelne Redakteure auch mal pro Grün schreiben, gewissermaßen als Ausgleich. Aber das Verhältnis muss natürlich für die Rechten stimmen. Solange in den Medienbetrieben der Tendenzschutz gilt, ändert sich da nix!!!!!

  • #6

    Sabine (Mittwoch, 16 Februar 2011 13:10)

    Das ist genau der Punkt: Der Tendenzschutz muss fallen, aber flott!

  • #7

    Michael (Mittwoch, 16 Februar 2011 14:23)

    Hinzu kommen grobe Rechtschreibe- und Grammatikfehler in der Ludwigsburger Kreiszeitung. Dem Kreisressort um Herrn Bächle würde ich mal einen Duden empfehlen, da steht das Wesentliche drin. Aber insgesamt sehe ich das auch so wie die Vorschreiber: Das Problem ist in ein paar Jahren dank der Internet-Medien erledigt.

  • #8

    Doro (Mittwoch, 16 Februar 2011 21:20)

    Bächle, ist das nicht der von seiner eigenen Partei abgehalfterte Landtagskandidat, der sich durch CDU-Parteisoldatentum im Journalismus ein Landtagsmandat erdient zu haben glaubte?

  • #9

    Schreiber (Donnerstag, 17 Februar 2011 09:14)

    Ich habe die Seiten gewechselt nach ein paar Jahren Bächle hatte ich vom Journalismus genug. Ich bin mal in den Job, weil ich aufklären wollte, diese Gesellschaft entwickeln wollte. Alles Quatsch! Du kriegst eine Tendenz vorgegeben und die schreibst Du gnadenlos runter. In Bächles Fall ist das eben die CDU-Tendenz wie sie unter Filbinger entwickelt wurde. Da ist Bächle - wie im Beitrag beschrieben - tatsächlich Parteisoldat, sozusagen der Uffz der CDU-Rechten.

  • #10

    Rolf (Donnerstag, 17 Februar 2011 09:51)

    Die Pressefreiheit wird durch den Tendenzschutz gefährdet und durch Polit-Propagandisten wie zum Beispiel Herrn Bächle.

  • #11

    Guido (Freitag, 18 Februar 2011 08:49)

    Offenbar wird die Agit-Prop-Schreibe von Herrn Bächle doch von einer Chefredaktion und einem Verleger gedeckt. Das ist kein fairer Journalismus, sondern Parteischreibe, ist ja nicht weiter tragisch, nur sollte das dann auch genauso heißen. Vielleicht denken die Verantwortlichen mal über eine Namensänderung nach, so etwa: Ludwigsburger Kreisparteizeitung.

  • #12

    Irene (Freitag, 18 Februar 2011 10:52)

    Na ja, da lese ich über 100 und mehr Zeilen, was ein bestimmter CDU-Oberbürgermeister meint, in der LKZ. Da wird nichts nachgefragt, da wird keine andere Meinung eingeholt, da wird nichts überprüft.

  • #13

    Tobias (Freitag, 18 Februar 2011 10:55)

    Der Pfarrer hat die Kanzel im Dorf, der Bächle seine Kreisseite. Ich zahle keine Kirchensteuer, ich zahl keine Abo-Gebühren.

  • #14

    Anita (Freitag, 18 Februar 2011 10:57)

    Beim "Neuen Deutschland" oder beim "Bayernkurier" erwarte ich ja nichts anderes. Nun muss ich aber feststellen, dass die journalistische Qualität dieser Blätter weit, weit weit über der Qualität der LKZ steht.

  • #15

    Wolfgang (Freitag, 18 Februar 2011 11:13)

    Irgednwann werden diese journalistischen Dorfpfarrer merken, dass ihre propagandistische Missionarsstellung von den Bürgern einfach ignoriert wird. Deshalb will ich das Gejammere der Zeitungsverleger auch nicht mehr hören.

  • #16

    Jörg (Freitag, 18 Februar 2011 12:26)

    Ich habs schon mal an anderer Stelle zum selben Thema geschrieben, hier aber noch mal:


    Mal ne Frage: Wieviele Journalisten fühlen sich denn dieser kritischen Berichterstattung verpflichtet?

    Wieviele Journalisten schreiben gedankenlos auf was ihr Chef oder einer der Staatsvertreter ihnen diktieren?

    Wieviele Journalisten wehren sich gegen die Bedrohungen der Pressefreiheit?

    Sehen Sie wo das Problem liegt?

  • #17

    Angelika (Freitag, 18 Februar 2011 14:11)

    Journalismus ist durch diese Leute wie sie hier beschrieben werden zu einem Auslaufmodell geworden!

  • #18

    Fritz (Freitag, 18 Februar 2011 14:15)

    Es gibt eben verschiedene Journalisten. Die mutigen investigativen fair berichtenden engagierten um Wahrheit bemühten brauchen wir - notwendiger denn je.

    Die anderen sollen Ananas in Alaska oder Gurken in Mühlacker züchten.

  • #19

    Sonja (Freitag, 18 Februar 2011 16:59)

    Landrat und Oberbürgermeister finden das doch klasse, wenn sie Bächle und seine Redakteure zum Diktat einbestellen können.

Was kann ein Comiccast?