Nagelprobe für die Netzbewegung

 – Bewährungsprobe für das Polit-Establishment

 

Die Vertreter des politischen Netzaktivismus sehen den Grundsatz von der Gleichheit aller Datenpäckchen im Netz als unbedingtes Basisprinzip. Wer vom Standpunkt der absoluten Netzneutralität abweicht, gibt nach ihrem Dafürhalten sämtliche Bürgerrechte im Internet preis. Gleichzeitig wird die Zulassung zur Diskussion über Netzneutralität von Bedingungen abhängig gemacht. Große Zustimmung hat dabei das „Baumhausprinzip“ gefunden. Über Netzneutralität soll nur mitdiskutieren dürfen, wer ohne fremde Hilfe ins Internet kommt. Das klingt banal, hat aber für die gesellschaftliche Diskussion über Regulierungsansätze weitreichende Folgen. Ausgeschlossen von der Diskussion sollen nämlich auf diese Weise alle diejenigen Politiker, Lobbyisten und Funktionäre werden, deren Kompetenz von den Vertretern des Netzaktivismus bezweifelt wird. Das ist natürlich eine problematische und auch etwas realitätsfremde Forderung. Aber die dahinter stehende Abschottungs- und Abkopplungstendenz einiger Vertreter des politischen Netzaktivismus ist als Alarmzeichen aufschlussreich und bemerkenswert.

 

Einige Netzaktivisten wollen sich auf diese Weise die Diskussion über Netzneutralität in den politischen Institutionen dieser Republik verhindern. Und sie geben für diese Vermeidungshaltung Gründe an. Bisher seien Netzthemen von den Polit-Analogen entweder abgebügelt oder mit einem absoluten und einseitigen Herrschaftsanspruch vereinnahmt worden, um staatliche Überwachungsinteressen oder wirtschaftliche Profitinteressen gegen die Netzgemeinde und ihr Interesse eines freien Netzdiskurses durchzusetzen. Die Debatte um die Online-Durchsuchung oder die Diskussion über Privatheit im Netz, die den Interessen einer Aggregation von Daten zur Profilbildung und damit einhergehender Vermarktungsstrategie entgegenstehe, geben nach Meinung verschiedener Netzaktivisten hier ein beredtes Zeugnis vom Scheitern eines Dialoges. Die unsägliche Debatte über das DE-Mail-Gesetz oder den elektronischen Personalausweis und der Umgang mit dort aufgezeigten Sicherheitsrisiken, habe gezeigt, dass die Polit-Analogen zu keinem wirklichen Diskurs bereit seien. „Wir wollten über Sicherheitsrisiken diskutieren und bekamen das Mantra ‚alles ist sicher’ zu hören“, fasst ein Netzaktivist seine Erfahrungen vom Dialog mit der Politik zusammen.

 

Den Rest an Glaubwürdigkeit haben die Polit-Analogen dann in den Augen viel zu vieler Netzaktivisten in den Veranstaltungen der Internet-Enquete-Kommission des deutschen Bundestages verspielt. Technische Argumente seien mit dem Hinweis auf reale Herrschaftsverhältnisse vom Tisch gewischt worden, die formulierten Interessen der Netzaktivisten nicht einmal zur Kenntnis genommen worden.

 

In der Konsequenz führte das dann zu einer Art Wagenburgmentalität des politischen Netzaktivismus. „Bevor wir hier von völlig inkompetenten reinen Machtpolitikern über den Tisch gezogen werden, sichern wir uns lieber unseren Netz-Freiraum“, lautete eine vielgeäußerte Reaktion auf die Debatte um Netzneutralität in der Enquete-Kommission. Das „Baumhausprinzip“ als Zugangsbarriere zur Diskussion über Netzneutralität war die direkte Antwort auf den von partizipativen Elementen freien Politikansatz der Polit-Analogen.

 

Deshalb kommt die Diskussion um Netzneutralität, Netzmanagement und Regulierungsansätze gegenwärtig auch nicht voran. Die Vertreter des politischen Netzaktivismus haben sich zum Teil – aus Enttäuschung – von den politischen Institutionen abgewandt; die Vertreter der eingeführten politischen Institutionen nehmen die Netzaktivisten in erster Linie als Störpotenzial eines geregelten Politbetriebes wahr.

 

Die Vertreter des politischen Netzaktivismus argumentieren mit einer gewissen Berechtigung, dass die zivilgesellschaftliche Bewegung im Netz großen Anteil an der Sicherung freiheitlicher Strukturen in der Bundesrepublik hatte. Die Polit-Analogen wollen diese zivilgesellschaftliche Bewegung im Netz marginalisieren. Und hier spielen ihnen diejenigen Netzaktivisten in die Hände, die klare Abschottungstendenzen gegen den analogen Politikbetrieb durchsetzen und über Netzneutralität dabei nur innerhalb der Bewegung des Netzaktivismus entscheiden wollen.

 

Der weitere Verlauf der Diskussion über Netzneutralität wird zeigen, ob unsere gesellschaftlichen Integrationskräfte ausreichen, um hier einen fairen und kompetenten Diskurs auf Augenhöhe ohne Denkverbote zu führen, oder ob die längst nicht mehr aufrecht zu erhaltende Teilung on digitale und analoge Bereiche aus Gründen reiner Machtausübung als verhängnisvolles politisches Paradigma festgeschrieben werden kann.

 

zuerst als Leitartikel verööfentlicht in Digital, Zeitschrift für die Informationsgesellschaft

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