Die Berichterstattung und Kommentierung zum Attentat und Amoklauf in Norwegen vor wenigen Tagen hat eines ganz deutlich gezeigt: Von einer der Wahrheit verpflichteten Berichterstattung sind viele meiner Kollegen in Deutschland weit entfernt. Statt dessen fröhnen sie lieber ihren schlimmen Ressentiments, die in vielen Fällen gar nicht einmal ihre eigenen sind, sondern diejenigen, von denen diese Medien-Angestellten meinen, dass ihre Vorgesetzten, die politische Partei, der sie sich verpflichtet fühlen und die unter Umständen zu ihrer Karriere erheblich beigetragen hat, oder einfach nur große Teile der Deutschen diese Ressentiments hören wollen.
„Was ist nur los mit dem Journalismus in Deutschland“, wurde ich nicht nur nach Oslo gefragt. Warum neigen offenbar deutsche Journalisten bevorzugt zu Hasstiraden?
Die Antwort ist so einfach wie unangenehm: In Deutschland bildet der Tendenzschutz eine uralte Medientradition. Deutsche Journalisten haben zu Bismarcks Zeiten so geschrieben, wie sie meinten, dass die Obrigkeit das lesen will. Sie haben in den Jahren von 1933 bis 1945 in jede von ihnen geforderte Richtung geschrieben. Sie haben das in der Adenauer-Ära mit Hingabe und deutscher Gründlichkeit betrieben. Sie schreiben noch heutzutage begeistert in jeder Tendenz, die ihnen manchmal direkt vorgegeben wird, von der sie aber viel öfter meinen, dass sie ihre Karriere befördern würde, weil wichtige Polit-Funktionäre diese Tendenz so exekutiert haben wollen. Gustav Freytag hat das in seinem Lustspiel „Die Journalisten“ treffend auf den Punkt gebracht, als er den Schmock von sich selbst sagen lässt: „Ich habe geschrieben links und wieder rechts. Ich kann schreiben nach jeder Richtung.“
Der Tendenzschutz in Deutschland ist zwar ein Damokles-Schwert, das über jedem Journalisten hängt. Aber dieses Damokles-Schwert hängt dort, weil nicht wenige Journalisten auch wollen, dass es dort hängt. Denn dann kann man unter Berufung auf die Tendenz so richtig schön „die Sau rauslassen“. So wird aus dem deutschen Tendenzjournalismus politische Hetze. Man kann als Journalist dieser Hetze fröhnen, muss sich dafür aber nicht verantworten. Es war ja die Tendenz, die man zu exekutieren hatte. Und schon ist der Journalist in der von ihm degenerierten Form eines medienethischen Arguments ja reingewaschen und fortan in der glücklichen taktischen Lage, künftig auch die gegenteilige Position der soeben vertretenen einzunehmen und gemäß dieser zu hetzen.
Dummerweise ist das in meinem Heimatland viel weiter verbreitet als man auf den ersten Blick so meint. In fast jeder Lokalredaktion finden sich die „Schmocks“ unserer Tage, die allerdings nicht so illusionslos einfach zugeben, dass sie als Lohnschreiber in jede Richtung schreiben, um ihre Brötchen zu verdienen, sondern sich selbst natürlich als hehre Vertreter der Geisteshaltung sehen, deren Tendenz sie gerade exekutieren. Und wenn das mit der hehren Geisteshaltung mal wieder allzu lächerlich erscheint, dann kann man ja immer noch den Tendenzschutz vorschieben. Deshalb brauchen viele Journalisten den in Sonntagsreden ihrer Verbandsfunktionäre verdammten Tendenzschutz und wollen ihn natürlich auf gar keinen Fall abgeschafft sehen.
Diese Kollegen verstecken sich hinter dem Tendenzschutz, um ungestraft gegen den politischen Gegner, unliebsame Zeitgenossen oder einfach nur gegen beneidete Kollegen hetzen zu können. Wir haben es hier also mit einem alltäglichen Phänomen zu tun und einer alltäglichen Einstellung vieler Journalisten, die natürlich unserem Berufsethos widerspricht. Das aber macht ja nach ihrem Dafürhalten nichts, weil das schräge Tendenzschutz-Argument diesen sittlichen Verstoß wenn schon nicht rechtfertigt, so doch zumindest als minderschweren entschuldigt.
Ich habe Ihnen hier ein Beispiel mitgebracht, das sehr schön zeigt, mit welcher Banalität im deutschen Redaktionsalltag von der Tendenz zur Hetze geschrieben wird. Der vorliegende Meinungsartikel ist ein gutes Jahr alt (Ludwigsburger Kreiszeitung vom 15. Mai 2010). Der Autor heißt Günter Bächle, arbeitet als Ressortleiter bei einer kleinen Heimatzeitung bei mir zu Hause auf dem Lande und ist außerdem CDU-Stadtrat, CDU-Kreisrat, CDU-Regionalrat und verhinderter Landtagsabgeordneter. Bächle ist bekannt dafür, dass er gnadenlos die Tendenz seiner rechten Parteifreunde im Redaktionsalltag exekutiert. Und das will im Lande eines früheren CDU-Ministerpräsidenten Filbinger, den der Schriftsteller Rolf Hochhuth einmal einen „furchtbaren Marinerichter“ nannte, schon etwas heißen. Im Jahre 2008 rechtfertigte sich Günter Bächle übrigens auf einer Veranstaltung des Deutschen Journalistenverbandes im malerischen Städtchen Freiberg von rund 120 aufgebrachten Leserinnen und Lesern seiner Heimatzeitung, er unterliege nun einmal einer Tendenz. Damals betrieb seine Kreisredaktion eine üble Hetze gegen den Freiberger Bürgermeister, die diesen aus dem Amt trieb und die selbst den gutmütigsten schwäbischen Lesern zu viel wurde. Es macht Mut, dass Leserinnen und Leser sich diese Hasspredigten in ihrer Lokalzeitung nicht gefallen lassen wollten. Weniger Mut machte, dass Heimatzeitungsredakteur Bächle, als er einsehen musste, dass seine Tiraden das Gegenteil bewirken, sich hinter dem Tendenzschutz zu verstecken suchte. So gesehen kann Bächle schon fast als Idealtypus gelten.
Hintergrund des heute nun als Beispiel mitgebrachten Meinungsbeitrages von Günter Bächle war die sogenannte „Mailaffäre im Rathaus“. Im Juni 2009 erhielt mein Büro einen Hinweis, dass im Rathaus meiner Heimatgemeinde Mitarbeitermail systematisch durch die Verwaltungsspitze überwacht werde. Das hat übrigens in schwäbischen Verwaltungen durchaus Tradition. Allein im Jahr 2009 hat mein Büro drei solcher Vorfälle öffentlich gemacht.
Da es im vorliegenden Fall um meine Heimatgemeinde ging und ich zu dieser Zeit hier kommunalpolitisch engagiert war, erklärte ich mich als Journalist für befangen. Eine Kollegin machte daraus ein wunderbares investigatives Stück, das bundesweit für Aufsehen sorgte. Der Landesbeauftragte für den Datenschutz rügte die Überwachungspraxis im Rathaus. Doch Kollege Bächle kämpfte tapfer für seinen Parteifreund, den verantwortlichen CDU-Oberbürgermeister – auch gern mal mit falschen Tatsachenbehauptungen. Er exekutierte halt eine Tendenz. Nachdem sein CDU-Parteifreund vor Jahresfrist nun doch etwas in Bedrängnis geriet, weil er die Überwachung von Mitarbeiter-Mail in einer öffentlichen Veranstaltung zugeben musste und dazu noch einen ziemlich missglückten Artikel im Amtsblatt der Stadt Remseck veröffentlichte, den er aus personenrechtlichen Gründen später wieder zurückziehen und sogar in der verbliebenen Auflage einschwärzen musste, verfasste Heimatzeitungsjournalist Bächle den hier vorliegenden Meinungsbeitrag, in dem er die zur Aktion aufrufende Frage stellte: „Wer stoppt Welchering?“
Wir müssen uns Bächles schlecht geschriebenen Aufruf zur Hetzjagd auf einen liberalen politischen Journalisten hier nicht en detail widmen. Nehmen Sie es einfach als Beispiel, wie aus einer politischen Tendenz Hetze wird, und das sogar bei einem ganz banalen kommunalpolitischen Thema.
Nehmen Sie es als Beispiel für eine strukturelle Verfasstheit des Journalismus in Deutschland, die dann in Fällen wie dem Attentat in Norwegen zu unerträglichen Kommentaren führt.
Weil wir so viele „Schmocks“ und „Bächles“ in unseren Redaktionen sitzen haben, ist mir einerseits bang um den Journalismus in Deutschland, andererseits weiß ich, journalistische Hasspredigten wie nach dem Attentat und Amoklauf in Norwegen erklären sich aus genau dieser Struktur. Wir dürfen uns also über solche Hasspredigten nicht wundern, aber wir müssen ihnen entschieden entgegen treten. Denn es gibt zwar viele „Schmocks“ und „Bächles“ im deutschen Journalismus, aber es gibt noch mehr seriös arbeitende und der Wahrheit verpflichtete Kolleginnen und Kollegen. Und dieser – leider oftmals schweigenden – Mehrheit gilt es, Mut zu machen: Lassen Sie nicht zu, dass das Bild des deutschen Journalismus in der Welt von den „Schmocks“ und „Bächles“ gezeichnet wird.
Missverstehen Sie bitte nicht falsch, dass ich dies hier äußere. Das ist nicht als Zeichen dafür zu verstehen, dass ich solche Dinge in Deutschland schon nicht mehr sagen dürfte. Zum Glück sind wir so weit noch nicht in Deutschland. Aber wir müssen verdammt viel dafür tun, dass es nicht dazu kommt. Ich habe im November 2010 ganz explizit vor dem Hintergrund dieser Erfahrung, wie schnell sogar in der Provinz bei einem unbedeutenden kommunalpolitischen Thema aus Tendenz Hetze wird, für einen Sitz im Deutschen Presserat kandidiert und wurde gewählt. Ich verstand und verstehe diese Wahl als Auftrag, den geifernden Hasspredigern in unseren Redaktionsstuben etwas entgegenzusetzen, nämlich ein klares: „So geht das nicht!“ Und da kann ich, da können wir Ansporn und Ermutigung von internationalen Kollegen gut gebrauchen.
Ich schäme mich für die „Bächles“ und „Schmocks“, die aus dieser Tendenzstruktur ein Bild des deutschen Journalismus in aller Welt zeichnen, das der eben auch festzustellenden großartigen freiheitlichen Tradition der Zeitungsschreiber in meinem Land nun wirklich nicht gerecht wird.
(Stark gekürzter Vortrag vor Volontären in Wien)
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Wilhelm (Dienstag, 26 Juli 2011 11:57)
Die Bächles dieser Welt werden weitermachen solange es Zeitungen gibt, die ihnen dafür zur Verfügung stehen, also wohl noch so 15 bis 20 Jahre, bis diese Lokalblätter endlich rip sind.
Doro (Dienstag, 26 Juli 2011 13:05)
Das haben wir ja schon bei der S21-Berichterstattung gesehen: Willige Partei-Propagandisten statt seriöser Journalisten sind in vielen Lokalzeitungen am Werk.
Sabine (Dienstag, 26 Juli 2011 15:46)
Ich bin ja auch dafür, dass der gesetzl Tendenzschutz fällt. Aber versprecht euch nicht zu viel davon. Die Bächles und Schmocks werden auch dann so schreiben, wie es ihnen gesagt wird oder sie meinen, dass es von ihnen erwartet wird.
Mike (Dienstag, 26 Juli 2011 17:04)
Journalsiten die sich hinter dem tendenzschutz verstecken - mmmh, mmmh, so habe ich das noch gar nicht gesehen - interessant!!!
Frank (Freitag, 05 August 2011 09:31)
Nehmen Sie doch die Bächles und Schmocks nicht so ernst. Die meisten werden in ein paar Jahren nicht mehr als Journalisten arbeiten, sondern ihre Rente genießen. Und dann ist dieses Problem doch gelöst, oder?
Christa (Samstag, 06 August 2011 14:04)
Eine nicht geringe Zahl von Lokaljournalisten ist so was von korrumpiert - durch Geld, durch Anzeigen durch die Nähe zur Macht, durch Karriereversprechen, durch Parteienproporz ......