Communities bringen das Digitale ins Analoge

Zur Diskussion auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Informatik in Berlin

 

„Informatik schafft Communities“, lautete das Motto der Jahrestagung 2011 der Gesellschaft für Informatik. Doch wie stark verändern sich dabei Kommunikation, Kooperation und soziale Kontrolle? Welche Technologien, Methoden und Modelle stehen hinter dem „Community-Building“ mit allen ihren Gefahren und Chancen?

 

 

Facebook-Revolution in Tunesien, Blackberry-Krawall in Großbritanien, virtuelle APO auf Twitter und leidenschaftliche Diskussionen über Tablet-PCs auf Techweb – wer sich da im Netz mit anderen zusammen tut, will oftmals ganz konkrete Ergebnisse in der analogen Welt sehen. Communities von Anonymous bis zu den Zierfisch-Freunden sind nicht nur virtuelle Gemeinschaften im Netz, sondern präsente soziale Gruppen mit neuen Organisationsstrukturen. Mit dem einst angedachten digitalen Dorfbrunnen hat das nicht mehr viel zu tun, eher mit einem Barcamp mitten in der Fußgängerzone.

 

Diese Organisationsstrukturen sind mal mehr und mal weniger geprägt durch die Technologien für die Vernetzung, Kommunikation und Kooperation. Die Wechselwirkungen von technischer und gesellschaftlicher Entwicklung sind verschränkter denn je.

 

Dahinter stecken Modelle, und zwar sehr unterschiedliche Modelle: ein Gesellschaftsmodell, ein Kommunikationsmodell, ein algorithmisches Modell, mitunter erkenntnistheoretische Modelle, nicht selten klare politische und Machtmodelle. Nach diesen Mollen entstehen Communities, und sie weichen in ihrer Entwicklung von diesen Modellen ab. Manchmal passiert das im Streit um diese Modelle oder in der Auseinandersetzung mit neuen Modellen.

 

So haben sich etwa nach der Ankündigung des britischen Premierministers David Cameron, Netzsperren zur Krawall-Bekämpfung zu verfügen, zahlreiche Communities gebildet, die gegen dieses Vorhaben Camerons opponieren, kämpfen, sogar das digitale Feuer mit der Low Ion Orbit Canon gegen Downing Street No 10 eröffnen.

 

Diese Communities haben sich jeweils auf der Grundlage gemeinsamer Werte gebildet. Unterschiedliche Communities bildeten sich, weil sich die hier organisierenden Menschen zu unterschiedlichen Werten bekennen. Die einen wollen Freiheitsrecht verteidigen, andere wollen einer Regierung klare Grenzen in Sachen Netzpolitik aufzeigen, wiederum andere wollen ihre Partei gegen Cameron positionieren. Die verfolgten Werte sind so vielfältig wie die sich bildenden Communities. Und diese Werte werden über ein Modell der jeweiligen Community vermittelt.

 

Nicht selten wirken derartige Modelle nur implizit, und die Nutznießer dieser impliziten Modelle tun alles, damit die Wirkungsweise dieser Modelle nicht transparent wird. Das ließ sich bei der Community-Bildung von Gegnern und Befürwortern des Bahnhofsprojekts Stuttgart 21 ausgesprochen deutlich beobachten.

 

Auf beiden Seiten bildeten sich neben Communities mit explizit formulierten Werten, die authentisch vertreten wurden, Communities mit impliziten Machmodellen oder Gesellschaftsmodellen, die nur implizit zu erkennen und mit einem Diskussionsverbot belegt waren. Die Konstitutionsvollzüge von Communities folgen den Gesetzen der Konstruktion Lebenswelten in Gesellschaften.

 

Dabei verschwimmen sogar die früher so klar gezogenen Grenzen zwischen analoger Welt und virtuellen Communities. Das führt zu Unübersichtlichkeit und teilweise äußerst komplexen Verhältnissen. Einige Netzaktivisten versuchen diese unübersichtlichen Verhältnisse durch die Forderung nach totaler Transparenz aufzuarbeiten.

 

Die sogenannte „Spackeria“-Diskussion war eine direkte Konsequenz dieser Situationsanalyse. Doch derartige Analysen der gesellschaftlichen Verhältnisse, die immer eine dichotomische Auflösung versuchen, haben im Falle der Spackeria-Diskussion zum Gegensatz von Privatsphäre und impliziter Herrschaftsmodelle auf der einen Seite und völliger Transparenz und Teilhabe-Paradigma auf der anderen Seite geführt und zu sonst nichts.

 

Viele Netzdebatten und zahllose Netzmanifeste der vergangenen Jahre leben von solchen Dichotomien. Da werden die digitalen Einwanderer gegen die digitalen Eingeborenen ausgespielt. Jüngst hat der Netztheoretiker Peter Kruse diese Diskussion um die Teilung in „Digitale Besucher“, die das Netz nur als Instrument verstehen, und „Digitale Einwohner“, für die das Netz Lebensraum ist, erweitert. Es gibt die netzpolitischen Dichotomien von Schwarmideologen versus Individualisten, von Sicherheitspolitikern versus Netzaktivisten, von affirmativen Journalisten versus kritischen Bloggern, von Anzugträgern versus Kapuzensweatshirt-Kämpen. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

 

Eines haben alle diese Dichotomien gemeinsam: Sie nehmen eine radikale Komplexitätsreduktion vor. Statt sich auf sehr viele sehr unterschiedlich strukturierte Communities mit sehr vielen Traditionssträngen, Ritualen, eigenen semiotischen Systemen und Netzsymboliken einlassen zu müssen, kann die alte Zweiteilung von entweder böser oder heiler analoger Welt und guter oder bedrohlicher virtueller Realität rasch wieder hergestellt werden.

 

Das bringt den netzpolitischen Diskurs zwar genauso wenig weiter wie den gesamtgesellschaftlichen, sorgt aber im politischen Streit für klare Verhältnisse. Dumm nur, dass diese klaren Verhältnisse der von vielen – teilweise miteinander interagierenden – Communities geprägten Wirklichkeit nicht mehr gerecht werden.

 

Wenn Informatik Communities schafft, dann dürfen eben nicht nur die technologischen Voraussetzungen für diese Communities im Blick der Informatiker sein, sondern dann müssen auch die diesem Schaffensprozess zugrunde liegenden Modelle betrachtet werden.

 

Diese Modellierungsdiskussion hat Manfred Broy aufgegriffen, der nachdrücklich darauf hingewiesen hat, dass die Informatik als wissenschaftliche Methode mehr sei als nur „algorithmisches Denken“. Dabei entstehen Broy zufolge neuartige Systembegriffe: „Forschungsarbeiten zur Verknüpfung von klassischen Sichten auf Systeme durch kontinuierliche Funktionen werden verbunden mit diskreten Modellen von Systemen als Zustandsmaschinen, Architekturen von Teilsystemen mit Begriffen wie Schnittstelle und Interaktion.“

 

So entstehen neue Sichtweisen auf ein Problem. Was Broy als Fachwissenschaftler für die Ausarbeitung und Erweiterung einer Methodik beschreibt, kann nicht nur in wissenschaftstheoretischer Hinsicht verbreitert werden, sondern auch die netzpolitische Diskussion über Communities voran bringen. Denn dieser Diskussion fehlt oftmals die Reflexion auf die Modellbildung.

 

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