Immaterialgüterrecht

Dass der gesellschaftliche Streit, ob ein Urheberrecht überhaupt noch moralisch vertretbar sei, sich zuspitzt[1], muss wohl nicht eigens betont werden[2]. „Geistiges Eigentum“ wird als Kampfbegriff diffamiert, eine pauschale Ablehnung des als viel zu kompliziert und nicht mehr alltagstauglich empfundenen Urheberrechts ist die Folge. Unternehmen mit digitalen Verwertungsmodellen, wie zum Beispiel Google, machen sich diese Debatte zunutze, um ihrem eigenen Geschäftsmodell mehr Akzeptanz zu verschaffen.

 

 

 

Gleichzeitig wächst das Unbehagen der Urheber, die oftmals ihre Rechte nicht mehr wahrnehmen können und durch Total-Buy-out-Verträge um die Früchte ihrer Arbeit gebracht werden. Wir brauchen also ein Urheberrecht, das den Ansprüchen des digitalen Zeitalters genügt und somit Bestandteil eines „neuen Gesellschaftsvertrages“[3] sein kann.

 

 

 

Doch die Diskussion über ein solches Urheberrecht ist schwierig. Teilweise sind die Schwierigkeiten darin begründet, dass das deutsche Urheberrecht Persönlichkeitsrechte und Eigentumsrechte in einer Weise zusammenwürfelt, dass nur noch durch eine nicht mehr überschaubare Kasuistik die eigentliche Rechtsmaterie herausgearbeitet werden kann.[4] Dann wird es unverständlich, und die Debatte wird schwierig.

 

 

 

Immerhin wird seit gut 110 Jahren ein systematischer Aufbau des Urheberrechts in Deutschland versucht, viele sind daran gescheitert. Und das hat durchaus damit zu tun, dass wir einen religionskriegsmäßigen Streit um „geistiges Eigentum“ führen.

 

 

 

Dabei macht ein Blick in die Geschichte schlauer: Dreh- und Angelpunkt ist die Romantik. Denn in vorromantischer Zeit wurde der in der frühen Neuzeit entstandene Nachdruckschutz, der als Privileg des Landesherrn gewährt wurde, zum Rechtsinstitut des Verlagseigentums.

 

 

 

Der Erwerb eines Manuskripts regelte deshalb auch nicht etwa Vervielfältigungsrechte, sondern das sächliche Eigentum des Verlegers am Manuskript.[5] Der Urheber verkaufte sein Werk also vollständig. „Es ging lediglich darum,  den Druckern und Verlegern unabhängig von Privilegien den alleinigen Druck oder Verlag eines Werkes zu ermöglichen, um über den Ertrag ihres Verlagsaufwandes ihre wirtschaftliche Existenz zu sichern“.[6]

 

 

 

Dieser privilegienunabhängige Eigentumsgedanke wurde von den Vertretern der Naturrechtslehre im 18. Jahrhundert aufgenommen und mit dem Arbeitsbegriff in Zusammenhang gebracht. Dadurch verlagerte sich in der Folge der Fokus bei der Eigentumsanbindung vom Verleger zum Urheber.[7]

 

 

 

Wir haben es hier also mit einer anfänglichen Emanzipationsbewegung der Autoren und Urheber zu tun, die aber leider in den Anfängen stecken blieb. Denn die Verleger konstruierten daraus einen „Verlegerschutz kraft eines vom Autor abgeleiteten Verlagsrechts“.[8] Die Verleger ließen sich also die aus der naturrechtlichen Eigentumslehre entstandenen Autoren- und Urheberrechte mehr oder weniger vollständig abtreten.

 

 

 

„Die naturrechtliche Eigentumslehre dienste also auch hier letztlich weniger den Autoreninteressen, denn der Verlagsbranche, die auf diesem Wege eine Begründung für die erwünschte Ausschließlichkeit und Übertragbarkeit des Verlagsrechts fand“.[9]

 

 

 

Dennoch wird diese in wirtschaftlicher Hinsicht misslungene Emanzipationsbewegung der Autoren von den Verfechtern der monistischen Urheberrechtstheorie[10] gern als eine Art ideelle Befreiung des Urhebers heroisiert. Das führte in der Folge dazu, dass das Urheberrecht in einer so großen Einseitigkeit als Persönlichkeitsrechts ausgelegt wurde, dass die realen wirtschaftlichen Gegebenheiten nicht berücksichtigt wurden.

 

 

 

Diese wirtschaftlichen Gegebenheiten, unter denen Autoren und Urheber ihre Werke schaffen, hatte hingegen Josef Kohler im Sinne, als er die Theorie des Immaterialgüterrechts formulierte.[11] „Ausgehend von der Erkenntnis, dass das Urheberrecht weder reines Vermögens- noch reines Persönlichkeitsrecht ist, führt die Immaterialgüterrechtstheorie die vermögensrechtliche und die persönlichkeitsrechtliche Schutzkomponente in einem dualistischen Ansatz zusammen“.[12] Das Urheberrecht wird so aufgefasst als „ein recht an einem außerhalb des Menschen stehenden, aber nicht körperlichen, nicht faß- und greifbaren Rechtsgute“.[13]

 

 

 

Insbesondere das schweizerische Urheberrecht ist durch dieses Immaterialgüterrecht geprägt, wohingegen das deutsche Urheberrecht von der monistischen Theorie bestimmt ist, die davon ausgeht, dass eigentumsrechtliche und persönlichkeitsrechtliche Komponenten so eng und unauflöslich miteinander vernetzt sind, dass sie eine unabhängige vermögensrechtliche Übertragung, die auch zahlreiche Nutzungsformen durch pauschale Abgeltungen („Kulturflatrate“) erlauben würde, verhindert.

 

 

 

Josef Kohler hat hingegen eine stärker nutzenzentrierte Konzeption des Urheberrechts vor Augen. Das hatte eine starke Betonung der sozialen Dimension des Urheberechts zur Folge.

 

 

 

Die zeitliche Begrenzung der Schutzrechte rührt aus dieser sozialen Dimension des Urheberrechts her. Weil Immaterialgüter im Unterschied zu Sachgütern „Elemente des Kulturleben“ sind, müssen sie nach Ablauf einer Schutzfrist, die dem Urheber eine auskömmliche wirtschaftliche Verwertung zubilligen muss und ihm die Existenz sichert, zum „Gemeingut Aller“ werden.[14]

 

 

 

Gleichwohl hat Kohler keine ausschließliche Allmende als Hintergedanken im Kopf, wie ihm von Vertretern des Monismus in denunziatorischer Absicht gern unterstellt wird. Individuelle Schutzrechte des Urhebers sieht er durchaus konsequent vor, unterscheidet dabei aber die persönlichkeitsrechtlichen und die eigentumsrechtliche Komponente. Letztere ist „gerechtfertigt, solange das Rechtsgut noch die Zwecke des Einzelnen erfüllen kann, solange es noch nicht bestimmt ist, lediglich die Zwecke Aller zu erfüllen“.[15]

 

 

 

Für ein modernes Urheberrecht, das den Anforderungen des digitalen Zeitalters gerecht wird und als Element eines neuen Gesellschaftsvertrages taugt, sind Josef Kohlers Erwägungen als Folie für eine Entwicklungen von urheberrechtlichen Konstruktionen, die eine starke Sozialbindung und eine nutzenzentrierte Perspektive aufweisen, überaus tauglich.

 

Eine solche Grundlegung für eine Positionierung könnte auch Wege aus der gegenwärtigen Legitimationskrise des Urheberrechts aufzeigen. Zur Zeit aber sind solche Ansätze nur ausgesprochen schwierig in die Diskussion zu bringen, weil sie entweder von den Monisten sofort als Aufgabe wesentlicher Rechte der Urheber denunziert werden oder von den postmodernen Kritikern des Urheberschutzes als noch immer mit einem subjektivistischen Paradigma arbeitend gebrandmarkt werden.

 

 

 

In der Tat wollte Kohler durch sein Immaterialgüterrecht die Bedeutung des subjektiven Urhebers niemals aufgeben. Damit müssen die postmodernen Urheberrechtskritiker leben.

 

 

 

Aber Kohler wollte die eigentumsrechtlichen Fragen insoweit von den persönlichkeitsrechtlichen Fragen ablösen, als er die nutzenorientierte Perspektive zunächst eigentumsrechtlich lösen will und rein vermögensrechtlichen Lösungsmodellen solange freien Raum einräumt, bis eine letzte persönlichkeitsrechtliche Schranke fällt.

 

 

 

Das würde etwa breiten Raum für pauschale Abgeltungen ermöglichen, die solange Geltung beanspruchen können, bis ein persönlichkeitsrechtliches Verbot greifen würde.

 

 

 

Auch die Problematik von Remix und Kopie ließe sich vor dieser Folie lösen. Eine Kopie wird rein vermögensrechtlich gelöst. Dabei kann für die (digitale) Vervielfältigung durchaus auch ein Modell pauschaler Abgeltung greifen. Wichtig dabei ist, dass für jede Vervielfältigung angemessen bezahlt wird.

 

 

 

Anders bei einem Remix. Hier kann der Urheber von vornherein – persönlichkeitsrechtlich begründete – Schranken festlegen, die auch durch vermögensrechtliche Lösungen nicht unterlaufen werden können. Innerhalb dieser Schranken ist ein Remix in persönlichkeitsrechtlicher Hinsicht möglich. Unabhängig davon sind die eigentumsrechtlichen Voraussetzungen bei der Remix-Nutzung eines Immaterialrechtsgutes zu beachten.

 

 

 

In der gegenwärtigen Diskussion müssen wir Urheber vor allen Dingen daran interessiert sein, die Erosion des Urheberrechts von einem Recht der Kulturschaffenden zu einem Recht der Kulturindustrie zu verhindern.[16] Der monistische Ansatz spielt dieser Erosion eher in die Hände, weil er durch seinen einseitig ausgeprägten subjektiven Idealismus die wirtschaftlichen Realitäten, wenn nicht völlig ausblendet, so doch zumindest unzureichend berücksichtigt.

 

 

 

Außerdem verleiht er dem nur rhetorisch gemeinten Bekenntnis der Vertreter der  Kulturindustrie zu einer angeblich urheberzentrierten Auffassung von Urheberrecht einen Hauch von vorläufiger Glaubwürdigkeit, auf die nicht wenige Journalistenkollegen hereinfallen.

 

 

 

Angeblich muss der Urheber durch ein ausschließlich verwerterorientiertes zusätzliches Schutzrecht vor unrechtmäßiger Nutzung seiner Werke im Internet geschützt werden. Doch geht es bei näherem Hinsehen gar nicht um den Schutz der Werke des Urhebers, sondern um den Schutz der dem Verlag eingeräumten Verwertungsrechte. Leichtgläubige Kolleginnen und Kollegen sind dieser Argumentationslinie gern gefolgt und haben deshalb den Netznutzer als gemeinsames Feindbild ausgemacht. Sie lassen sich für die weitergehende Etablierung eines ausschließlich verwerterorientierten Urheberrechtsmodells missbrauchen.

 

 

 

Ein nutzungsorientiertes Urheberrecht als Immaterialgüterrecht bietet hier zahlreiche elegante Lösungsmöglichkeiten. Vor allen Dingen wird es den konkreten Umständen gerecht, unter denen Journalistinnen und Journalisten am (digitalen) Informations- und Kommunikationsgeschehen beteiligt sind.

 

 

 

Urheberschutzinteressen und das Interesse an der Informationsfreiheit und an bestimmten Nutzungsarten müssen gleichberechtigt nebeneinander stehen. Beiden Interessen und ihrer Verschränkung wird der vor der Folie von Josef Kohlers Immatrialgüterrecht zu entfaltenden nutzungsorientierte Ansatz eines Urheberrechtsmodells in besonderer Weise gerecht.

 

 

 

Darüber kann dieser Ansatz nicht nur einen rechtsdogmatisch und medienethisch fundierten Weg aus der Legitimationskrise des Urheberrechts aufzeigen, sondern auch verträgliche Lösungen für alle am Informations- und Kommunikationsgeschehen Beteiligten bieten, die mit dem monistischen Ansatz nicht möglich wären.

 

 

 

Open-Access-Modelle und Urhebermodelle, die die Urheberpersönlichkeit nicht aufgeben wollen, können durch diesen Ansatz miteinander ins Gespräch gebracht werden. Es lassen sich derartige Ansätze sogar auf diese Weise harmonisieren.

 

 

 

Das nutzungsorientierte Modell wird insbesondere dem mit einer völlig neuen Qualität versehenen Interesse der Nutzer am Zugriff auf Werke im digitalen Zeitalter gerecht. Daraus lassen sich einige Eckpunkte für ein Urheberrecht ableiten, wie zum Beispiel die Gemeinfreiheit amtlicher Werke, der Geltung des Erschöpfungsgrundsatzes, das dem mündigen Verbraucher und Nutzer gerecht wird, der Notwendigkeit einer eigenen Willensäußerung, um Urheberrechte vererben zu können, und die zeitliche Befristung eines ausschließlichen Nutzungsrechtes.

 

 

 

Das alles sind in der gegenwärtigen Diskussion ausgesprochen umstrittene Punkte, deren Diskussion ausgesprochen ideologiebehaftet geführt wird. Ein nutzungsorientierter Ansatz schließt diese ideologische Belastung aus. Auch zur Diskussion um eine Vereinfachung von Schrankenrechten, die dann auch vorübergehende Vervielfältigungen regeln würden, könnte der Ansatz lösungsorientiert beitragen.

 



[1] siehe: Bödeker, Sebastian; Moldenhauer, Oliver; Rubbel, Benedikt: Wissensallmende. Gegen die Privatisierung des Wissens der Welt durch ‚geistige Eigentumsrechte’ (Hamburg 2005)

 

[2] In Abwandlung von Stallberg, Christian Gero: Urheberrecht und moralische Rechtfertigung (Berlin 2006) sehe ich eine moralische Rechtfertigung des Urheberrechts als Immaterialgüterrecht und Persönlichkeitsrecht (in dieser Abfolge!) durch die transzendentalphilosophische Grundlegung der Urheberschaft als Sprechakt gegeben.

 

[3] Einen solchen fordern ja nicht nur die Grünen und Liberalen, er wird im beginnenden Bundestagswahlkampf inzwischen auch von sozialdemokratischer Seite eingebracht.

[4] vgl. Rigamonti, Cyril: Geistiges Eigentum als Begriff und Theorie des Urheberrechts (Baden-Baden 2001)

[5] vgl. Gieseke, Ludwig: Vom Privileg zum Urheberrecht (Göttingen 1995), ins. S. 93-95 und 99

 

[6] Rigamonti(2001), S. 16

 

[7] vgl. Gieseke (1995) S 115

[8] Hansen,Gerd: Warum Urheberrecht? Die Rechtfertigung des Urheberrechts unter besonderer Berücksichtigung des Nutzerschutzes (Baden-Baden 2009) S. 19

[9] a.a.O. S. 19/20

[10] vgl. die Baumtheorie von Ulmer, Eugen: Urheber- und Verlagsrecht (3. Aufl. Berlin 1980)

[11] Kohler, Josef: Urheberrecht an Schriftwerken und Verlagsrecht (Stuttgart 1907)

 

[12] Hansen (2009) S. 24

[13] Kohler (1907) S. 128

[14] Kohler, Josef: Das Autorrecht. Eine zivilistische Abhandlung (Jena 1880), S. 47f.

[15] Kohler a.a.o. 48

[16] vgl. dazu: Hoeren, Thomas: Urheberrecht 2000 – Thesen für eine Reform des Urheberrechts, in: Multimedia und Recht 3(2000) 3ff.

 

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