Wie Sprache unser Denken bestimmt

Zur Diskussion um den Einfluss von Grammatik und Sprachstrukturen auf unser Denken stelle ich das zweite Kapitel meines Buches "Wissenschaft als Grenzwert" hier ein, das sich u.a. mit Whorf und Bollnow kurz auseinandersetzt

 

Hier die bibl. Angaben:

 

 

Welchering, Peter

Wissenschaft als Grenzwert

Die noematische Phänomenologie in ihrer wissenschaftsbegründenden Funktion

Verlag : 

Martin Meidenbauer Verlagsbuchhandlung

ISBN : 

978-3-86306-724-3

2. Thesen zum Selbstverständnis einer rein noematischen
Phänomenologie

 

Der Leser sei auf drei für das Verständnis dieses Kapitels
bedeutsame Aspekte der Darstellung hingewiesen:
1.) Die zu treffenden Anmerkungen zum Selbstverständnis
einer rein noematischen Phänomenologie werden nicht
durch einen orthodoxen Vertreter dieser Denkhaltung gegeben,
sondern ich treffe Anmerkungen zu diesem Selbstverständnis
ausgehend von den bereits zitierten Vorstudien zu
einer rein noematischen Phänomenologie als an phänomenologischem
Denken Interssierter und – wie ich hoffe – dieses
Denken und seine Voraussetzungen und Konsequenzen
kritisch Prüfender.

 

2.) Die Erarbeitung der Thesen wurde in der Hauptsache
unter dem Einfluss der Habilitationsschrift: Hoche, H.-U.:
Handlung, Bewusstsein und Leib. Vorstudien zu einer rein
noematischen Phänomenologie, Freiburg/München 1973,
geleistet, Wenngleich die Auseinandersetzung mit den ausgewählten
und dargestellten Modellen zur Unterscheidung
verschiedener Wege zur transzendentalen Reduktion auch
weiterführende bzw. den in dieser Schrift geäußerten Gedanken
kritisch gegenüberstehende Hinweise enthält.

 

3.) Als «literarische Gattung» der Darstellung wählte ich die
Thesenform, um zwei Forderungen Genüge tun zu können:

 

3.1 Das Selbstverständnis der rein noematischen Phänomenologie
kann innerhalb eines Einführungskapitels nicht
ausführlich dargelegt werden, deshalb muss auch durch
die äußere Form der Darstellung die Vorläufigkeit dieser
«Skizzierung» deutlich werden.

 

3.2 Diese Skizze einer Charakteristik soll zwar die Hauptanliegen
einer rein noematischen Phänomenologie darstellen,
sie soll aber zugleich eine spätere ausführlichere Behandlung
zentraler Problembestände ermöglichen.

These 1: Die Hauptleistung der transzendentalen Reduktion
ist die Erschließung des Bereiches der noematischen
Bezugsgegenstände als solcher und die methodologische
Absicherung dieses Bereiches durch eine stringent durchgeführte
Unterscheidung zwischen noematischen Bezugsgegenständen
als noematischen und noematischen Bezugsgegenständen
schlechthin.

 

These 2: Dadurch, dass die transzendental-phänomenologische
Reduktion als restriktive angelegt ist, wird sie produktiv!
Erläuterung: Durch die Ausschaltung der Generalthesis der
natürlichen Einstellung aus methodischer Motivation (Restriktion)
wird die methodologisch abgesicherte Erfassung
und Beschreibung des im Bewusstsein Erscheinenden als
Erscheinenden ermöglicht (produktive Leistung).

 

These 3: Die von Husserl als noetisch bezeichneten Bewusstseinsmomente
werden noematisch interpretiert.
Erläuterung: In Auseinandersetzung mit A. Gurwitsch15
klärt Hans-Ulrich Hoche, dass die Phänomenologie der
Wahrnehmung sich hinsichtlich der Wahrnehmung eines
Einzeldinges zwar auf Mannigfaltigkeiten verwiesen findet,
welche eine Unterscheidung verschiedener Dimensionen
von Manningfaltigkeiten evozieren. Zugleich bezweifelt er
aber, «dass irgend ein sachlicher Grund besteht, die höherdimensionalen
Mannigfaltigkeiten – sozusagen die 'Mannigfaltigkeits-
Mannigfaltigkeiten' – als 'noetische' und damit
im Sinne Husserls 'erlebnis-immanente', die primären Mannigfaltigkeiten
hingegen als noematische und damit 'erlebnis-
transzendente' zu interpretieren» Er «sehe nämlich
auch keinen sachlichen Grund, z.B. zwischen dem Ding als
jetzt von mir so und so wahrgenommenem und meinem
Jetzt-das-Ding-so-und-so wahrnehmen noch zu unterschei-

den; was uns einen solchen Unterschied 'selbstverständlich'
erscheinen lässt,» ist die Tatsache, «dass man z.B.
zwischen dem Ding als jetzt von dir so und so wahrgenommenem
und deinem Jetzt-das-Ding-so-und-so-wahrnehmen
sehr wohl unterscheiden muss.»16

 

These 4: Der Zusammenschluss dessen, was in Husserls
Schriften zu «Logischen Untersuchungen» noch «dissoziiert
in die noetischen und damit reellen Bewusstseinsbestände
» einerseits und «in den intentionalen Gegenstand»
andererseits war, unter dem Namen «Noema» ermöglicht,
«Bewusstsein und Gegenstand (und in weiter Folge Bewusstsein
und Welt, Bewusstsein und Leib) im Rahmen einer
einzigen und einheitlichen Gesamterfahrung zu erfassen
und damit die Frage nach ihrer 'realen Beziehung' (…)
in einer sinnvollen (…) Weise zu formulieren.»17
Erläuterung: Allerdings hat Husserl trotz der Unterscheidung
von Einheit und Mannigfaltigkeit im Noema selbst den
Parallelismus von Noesis und Noema beibehalten. Nach
der von ihm durchgeführten Unterscheidung zwischen noematischem
Einheitspol und noematischen Mannigfaltigkeiten
hätte es nahegelegen, den Bereich des Noetischen methodisch
aus der Betrachtung auszublenden, weil das noetische
Leisten durch den Vorwurf der Projektion von Momenten
der Fremderfahrung in die jeweilige Selbsterfahrung
in Frage gestellt wurde bzw. weil durch diesen Vorwurf
die Behauptung, ein noetisches Leisten sei phänomenologisch
aufweisbar, angezweifelt wird. Wenn das Verhältnis
von Noesis und Noema als ein Verhältnis «von
'Leisten' und 'Geleistetem', von cogitare und cogitatum qua
cogitatum»18 beschrieben wird, so stellt die rein noematische
Phänomenologie die Frage, ob die Annahme eines
noetischen Leistens sich nicht lediglich einer Übertragung
dessen, «was von der Fremderfahrung her selbstverständ-
lich ist»19, verdankt. «Da sieht man nämlich, und zwar in
der Einheit einer Erfahrung, das 'Leisten' und das 'Geleistete',
z.B. Herrn Müllers Schreibhandlung und den unter seinen
Händen entstehenden Brief, die Beobachtungshandlung
des Jägers und den von ihm beobachteten Hirsch, das
Erschrecken des Kindes und den Grashüpfer, der ihm diesen
Schrecken eingejagt hat.»20

 

An dieser Stelle ergeben sich zwei Fragen:
1. Kann ich im Hinblick auf meine Handlung wirklich zwischen
«Leisten und Geleistetem» unterscheiden, oder projiziere
ich, wenn ich eine solche Unterscheidung treffe,
nicht dasjenige, was in der Fremderfahrung selbstverständlich
ist, in die Selbsterfahrung?
2. Unterliege ich nicht – oder bissiger formuliert: erliege ich
nicht –, wenn ich zwischen «noetischem Leisten» und «noematischem
Geleisteten» unterscheide – gewissermaßen
unter umgekehrten Vorzeichen – der Selbstverständlichkeit
des «Subjekt-Prädikat-Schemas», welches uns sowohl bestimmte
Normierungen von Sprachhandlungen als auch
Strukturen des Denkens vorgibt?21
Dieses «Subjekt-Prädikat-Schema» unserer Sprache verleitet
mich dazu, immer das eine Handlung ausführende
Subjekt mit anzunehmen. Unter den genannten umgekehrten
Vorzeichen würde es mich dann dazu verleiten, dem
Subjekt- oder Objekt-Komplex (dem Geleisteten) auch immer
einen Prädikat-Komplex (das Leisten) zu substruhieren.
Nach Whorfs linguistischem Relativitätsprinzip ist jede
Sprache «ein eigenes riesiges Struktursystem, in dem die
formen und Kategorien kulturell vorherbestimmt sind, aufgrund
deren der einzelne sich nicht nur mitteilt, sondern
auch die Natur aufgliedert, Phänomene und Zusammen-
hänge bemerkt, oder überprüft, sein Nachdenken kanalisiert
und das Gehäuse seines Bewusstseins baut.»22 Innerhalb
der linguistischen Untersuchungen, welche zur Formulierung
des Relativitätsprinzips führten, beschäftigte sich
Whorf auch mit dem indo-europäischen Sprachtypus. Die
umfangreichen Ausführungen hinsichtlich dieses Sprachtypus
sind auch für denjenigen, der die (unberechtigte) Aufrechterhaltung
des Husserlschen Parallelismus-Gedankens
zu verstehen sucht, von großem Interesse, da durch die
Untersuchungen zum «Subjekt-Prädikat-Schema» eine
Verstehensmöglichkeit angeboten wird. Deshalb seien im
folgenden einige kurze Passagen der von Bollnow getroffenen
Zusammenfassung der Whorfschen Forschungsergebnisse
zitiert:
«Unsere Sprachen bauen ihre Sätze bekanntlich nach dem
zweigliedrigen Schema von Subjekt und Prädikat auf. Das
ist uns so selbstverständlich, dass wir es in der Regel gar
nicht beachten, und wo Ausnahmen auftauchen, wie bei
den impersonalen Sätzen, da bedarf es mühsamer grammatischer
Erklärungen. In diesem Schema liegt aber von
Anfang an eine entscheidende Voraussetzung, dass nämlich
alles Geschehen als Geschehen von etwas oder an etwas
verstanden wird, als Tun eines Täters oder als Leiden
eines Erleidenden, d.h. dass wir allem Geschehen ein
Substrat unterlegen, das in den Veränderungen als ein selbiges
festgehalten wird. Um dieses Schema anwenden zu
können, müssen wir zuvor aus der Natur mit Hilfe unserer
Sprache solche Träger des Geschehens herausschneiden.
Das geschieht in den üblichen Formen unserer 'Hauptwörter',
der Substantiva. Whorf macht nun darauf aufmerksam,
dass die Beispiele der üblichen Logik schon immer entsprechend
gewählt sind. Wenn sie von Tischen und Stühlen
und von anderen von den Menschen hergestellten Dingen
spricht, so haben diese schon als solche einen 'einzigartigen
Grad an Isolierung', der die Anwendung der sprachlichen
Schemata erleichtet. Aber, so fährt er fort, 'die wirk-
lich interessante Frage ist nicht was verschiedene Sprachen
mit solchen künstlich isolierten Objekten run, sondern:
Was tun sie mit der fließenden Natur in ihrer Bewegung,
Farbigkeit und wechselnden Form (…)?' Seine Antwort:
unsere Sprache hilft sich, indem sie aus der fließenden
Natur mit Hilfe ihrer Substantiva künstlich isolierte Dinge
herausschneidet.»23
Diese Ausführungen veranlassen mich, die Frage zu stellen,
ob nicht deshalb der Husserlsche Parallelismus-Gedanke
als so evident erscheint, weil wir aufgrund des vorgegebenen
Sprachschemas alles Geschehen immer als
Geschehen von etwas und – so meine ich – umgekehrt alles
Geschehene (Geleistete) immer als von jemandem geleistet,
dessen Leistung zu diesem Ergebnis führte, auffassen.
24
Im Rahmen der vorliegenden These, aber auch der vorliegenden
Arbeit kann dieser Frage nicht mehr nachgegangen
werden, allerdings sei sie dennoch – gewissermaßen
als offener Problembestand einer rein noematisch arbeitenden
Phänomenologie – gestellt.

 

These 5: Da die noematische Phänomenologie den gesamten
Bereich der Noesis noematisch interpretieren will,
wird sie auch die von Husserl als Reflexion auf noetische
Erlebnismomente angesehene «noetische Reflexion» «als
Reflexion auf noematische Mannigfaltigkeiten verschiedener
Dimensionen verstehen.»25 Dieses Verständnis der «für
Noematische Phänomenologie 21
die transzendentale Phänomenologie konstituive (n) Gestalt
der Reflexion»26 als «Rückgängigmachung von 'Abstraktionen'
», also als Rückgängigmachung von abstraktiven
Hinsichten auf die noematischen Gegenstände schlechthin
hat zur Folge, dass die Möglichkeit einer Iteration von Reflexionen
entfallen würde.
Erläuterung: Die Möglichkeit einer Iteration von Reflexionen
würde deshalb entfallen, weil zwar abstraktive Hinsichten
auf bloße Gegenstandspole in verschiedenen Stufen rückgängig
gemacht werden können, aber weil zugleich «Erscheinungsweisen
von Erscheinungsweisen» weder phänomenologisch
nachweisbar sind, noch von einem zentralen
Einheitspol aus nachgewiesen werden können.

 

These 6: Die noematischen Gegenstände schlechthin will
Hans-Ulrich Hoche in Anknüpfung an den in These fünf
vorgetragenen Gedanken als bloße Abstraktionsprodukte
auffassen. So werden alsdann dingliche Gegenstände von
ihm als Abstraktionsklassen von Gegebenheitsweisen interpretiert,
wobei diese Gegebenheitsweisen in bestimmter
Weise zusammengehören. «'Über einen Gegenstand sprechen'
würde dann heißen: über das, was gegeben ist, in einer
Weise sprechen, die gegenüber dieser oder jener Gegebenheitsweise
'invariant' ist.»27

 

These 7: Die rein noematische Phänomenologie will die
Identität «jeweils meiner eigenen noematischen Umwelt –
in die ja nicht nur die konstituierten Gegenstandspole, sondern
auch die konstituierenden Erscheinungsmannigfaltigkeiten
gehören – mit jeweils meinem eigenen rein noematisch
interpretierten Bewusstsein (…) anerkennen.28 Dem
rein noematisch interpretierten Bewusstsein kommen als
Strukturformen «Räumlichkeit» und «Leiblichkeit» zu. Des
weiteren – so möchte ich lediglich einen Gedanken andeu-
ten – bliebe noch zu diskutieren, inwieweit dem rein noematisch
interpretierten Bewusstsein als Strukturform auch
«Zeitlichkeit» zugehört. Gerade die Unmöglichkeit der Annahme
einer «Jetztsituation»29 eröffnet einen zeitlichen Horizont,
in welchem sich Handlungen konstituieren können.
Erläuterung: «Diese Einsicht fällt zweifellos leichter, wenn
man dabei bedenkt, dass wir 'Welt' oder 'Umwelt' phänomenologisch
nicht als 'Gesamthorizont' der 'Tatsachen'
oder gar 'Dinge', sondern als indifferenten Hintergrund oder
als Gesamt-'Horizont' der noematischen Bezugsgegenstände
ansehen müssen.»30
Allerdings ist die behauptete Identität von noematischer
Umwelt und noematisch interpretiertem Bewusstsein nicht
als Zusammenfluss unterschiedlicher Dinge in ein einheitlich-
ebenes Feld zu verstehen. «Der Unterschiede bleiben
genug, nur werden sie hier in einer Weise gedeutet, die es
uns möglich macht, das Unterschiedene in der Einheit einer
Erfahrung zu erfassen und damit Fragen nach Unterschiedenheit,
Identität und 'realen Beziehungen' überhaupt erst
sinnvoll, nämlich so, dass sie prinzipiell auch beantwortet
werden können, zu stellen.»31 Leibkörper und Bewusstsein
werden deshalb auch weder als identisch noch als voneinander
verschieden bezeichnet. Vielmehr werden Fragen,
welche nach dieser Identität oder Verschiedenheit von
Leibkörper und Bewusstsein fragen, als «Scheinfragen»
bezeichnet, weil «Leibkörper und Bewusstsein Korrelate
zweiter völlig disparater Bewusstseinshaltungen sind und
niemals in der Einheit einer einzigen Erfahrung gegeben
sein können.»32 Allerdings gilt es hier, zwischen dem Leibkörper
und dem fungierenden Leib zu unterscheiden, weil
ansonsten mit dem Hinweis auf die Unvereinbarkeit der Bewusstseinshaltungen
die Identität von noematischer Umwelt
und noematischem Bewusstsein geleugnet werden
könnte. «Wenn mein Leibkörper mit seinen objektiven Bewegungen
(…) und mein noematisch gedeutetes Bewusstsein
mit seinen Handlungsanweisungen (…) auch völlig inkompatiblen
oder inkommensurablen Anschauungsfeldern
angehören und nicht in der Einheit einer einzigen Erfahrung
gegeben sein können, so besagt das doch nicht das mindeste
gegen die 'Leiblichkeit des Bewusstseins'».33 Die Differenzierung
zwischen fungierendem Leib und Leibkörper
diskutiert H-U. Hoche unter dem Aspekt der Perspektivität
des räumlich Gegebenen. «Ich kann ein Raumding nicht
wahrnehmen, ohne dass es sich mir in einer bestimmten
räumlichen 'Perspektive' darbietet».34 Dass sich mir ein
Raumding nur unter einer bestimmten Perspektive darbieten
kann, gilt sowohl für die aktuelle Wahrnehmung als
auch für die verschiedenen Formen der Vergegenwärtigung.
35 In der Vergegenwärtigung kann ich dabei die Perspektive
völlig frei wählen. Dieses Moment der Vergegenwärtigung
wird als Hauptunterscheidungsmerkmal zwischen
Vergegenwärtigung und Wahrnehmung angeführt,
da eine völlig freie Wahl mir in der Wahrnehmung nicht
möglich ist, was auch jederzeit durch den Hinweis auf meinen
je aktuellen Standpunkt zu erhärten ist. «Aber auch in
der Wahrnehmung ist meine räumliche Perspektive nicht in
jedem Falle durch die Lokalisierung meines Leibkörpers
festgelegt.»36 So werden etwa durch die verschiedensten
technischen Hilfsmittel neue Perspektiven erschlossen.
«Und diese Hilfsmittel können wir als 'Prothesen' interpretieren,
ja funktionell gesprochen als 'Leiborgane'.»37 Der
Unterschied zwischen fungierendem Leib und Leibkörper
wird durch ein von Hoch aufgenommenes Zitat aus den
Ryle'schen Werk «Der Begriff des Geistes» deutlich: Ein
fühlloser und nicht nach dem eigenen Willen beweglicher
Körperteil gehört zwar mir, aber er ist nicht ein Teil von mir.
Umgekehrt können mechanische Körperhilfen, so wie Kraftfahrzeuge
oder Spazierstöcke, durch 'ich' und 'mich' bezeichnet
werden». Der Autor der «Vorstudien» führt im Anschluss
an dieses Ryle-Zitat fort: «In der Tat kann man seinen
Wagen genauso beherrschen wie seinen biologischen
Leibkörper: Sobald wir richtig (also 'unbewusst' oder 'automatisch')
zu fahren gelernt haben, objektivieren wir unser
Fahrzeug ebenso wenig wie z.B. beim Tischtennisspielen
unsere Hand (…). In der 'theoretischen' Haltung sind wir
ganz und gar dem Erkenntnisgegenstand, beim normalen
(ohne Störung verlaufenden) Handeln ganz und gar der
'praktischen' Situation (…) zugewandt».38 Beschreibe ich
also gerade, um den Unterschied zwischen fungierendem
Leib und Leibkörper darzulegen, eine Seite Papier, so ist
mir meine Hand nur als fungierendes Leiborgan (und mir
ihr der Bleistift, den sie führt) gegenwärtig; unterbreche ich
dagegen diesen Schreibfluss, weil aufgrund meiner Neigung
zu Sehnenscheidenentzündungen meine rechte Hand
schmerzt, und betrachte diese Hand nun in ihrem Funktionsablauf
«Schreiben», «Bewegung» – wobei allerdings
dieser Funktionsablauf sich so komplex gestaltet, dass er
nicht mehr mit der gewohnten Geschwindigkeit ausgeführt
werden kann – so ist mir meine Hand (unter ganz bestimmten
Perspektiven, von einem ganz bestimmten Standpunkt
aus) als vergegenständlicht, als Leibkörper gegenwärtig.

 

Anmerkungen:

 

15 vgl. Gurwitsch, A.: Beitrag zur phänomenologischen Theorie der Wahrnehmung,
in: Zeitschrift für philosophische Forschung 13 (1959) Seite
419-437.
Noematische Phänomenologie 17

16 Alle Zitate: HBL 29/30
17 Alle Zitate: HBL 72/73
18 HBL 74

19 HBL 76.
20 HBL 75/76.
21 vgl. Whorf, Benjamin: Sprache, Denken, Wirklichkeit. Beiträge zur Metalinguistik
und Sprachphilosophie, ediert und übersetzt von P. Krausser,
Reinbek bei Hamburg 1963.
Noematische Phänomenologie 19

22 Bollnow: Sprache und Erziehung 78.

23 Bollnow: Sprache und Erziehung 150.
24 So finden wir etwa in alten Sagen und Göttererzählungen immer den
Verursacher eines unerklärlichen – da der Verursacher nicht leibhaftig
erfahrbar ist – Geschehens benannt. Das Geschehen «Gewitter» etwa
erweist sich als existenzbedrohend, aber es ist kein Handelnder, der für
dieses Geschehen die Verantwortung übernehmen müsste und es auch
sofort aufheben könnte, leibhaftig greifbar, deshalb wird dieses Geschehen
einem Gott zugeschrieben, welcher, um die Menschen zu strafen,
Blitze geschleudert hat. Leider kann dieser Aspekt von mir nicht mehr
bearbeitet werden, der Hinweis auf dieses literarische Phänomen möge
also genügen.
25 HBL 30.

 

26 Ibidem.
27 HBL 32.
28 HBL 33.

29 Köppel: Analyse von Husserls Weltbegriff, a.a.O. Seite 71f
30 HBL 33
31 ibidem
32 HBL 224

33 HBL 228
34 ibid.
35 vgl. insbesondere die sehr scharf skizzierende Bearbeitung dieses Themenkomplexes
bei Marius Köppel: Husserls Welt-Begriff, a.a.O., hier die
Seiten 191-212
36 HBL 229
37 HBL 234

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Kommentare: 1
  • #1

    Kerstin Schröder (Montag, 26 März 2012 10:23)

    Ja, genau. Und wie erst das Geld unser Denken
    bestimmt. Wohin man hört und schaut nur kurzfristiges Nutzendenken nach dem Motto,
    "Was habe ich bis vorgestern davon?"
    Auf welchem Planeten sollen unsere Enkel dann noch leben, wenn alles schon strategisch kommuniziert und materiell abgegrast ist.
    Herzliche Grüße
    Kerstin Schröder

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