Orwell in die Archive

Zuletzt war ich in der Plenumssitzung des Deutschen Presserates mit der Forderung konfrontiert: Die Inhalte von online geführten Pressearchiven sollen nachträglich verändert, Beiträge bearbeitet und Artikel auch gelöscht werden können. Auch von Bundestagsabgeordneten der Koalitionsparteien habe ich diese Forderung gelegentlich gehört.

 

Dabei werden zahlreiche Gründe für eine nachträgliche Bearbeitung der Archive geltend gemacht. So sollen Berichte über Gerichtsverfahren und Urteile in den Archiven nachträglich bearbeitet werden, um die Resozialisierung von Straftätern zu erleichtern. Das ist gut gemeint, aber schlecht zu Ende gedacht.

 

Resozialisierung nehme ich sehr ernst, und sie muss am Tag der Urteilsverkündung anfangen. Aber dieses wichtige Anliegen einer humanen Gesellschaft, die jedem Einzelnen, auch wenn er noch so grob gegen Normen verstoßen hat, nicht nur eine neue Chance gibt, sondern ihn auch bei Wahrnehmung dieser Chance aktiv unterstützt, ihm hilft, als Vorwand zu nehmen, Online-Pressearchive nachträglich zu bearbeiten, zu ändern, ohne dass Änderungen nachvollziehbar wären, ohne dass sie überhaupt bemerkt werden können, dass missbraucht den Gedanken der Resozialisierung.

 

Hier haben offensichtlich verschiedene Kräfte Orwellsche Phantasien entwickelt und versuchen, sie umzusetzen. Wir brauchen statt dessen einen hohen Archivierungsstandard, der strenge Dokumentationspflichten vorgibt. Sonst verliert unsere Gesellschaft ihr Gedächtnis und wird zu einer von den jeweiligen Machtinhabern – mit Archivhoheit – leicht zu manipulierenden Entität.

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Kommentare: 2
  • #1

    Saibhu (Freitag, 05 Oktober 2012 03:48)

    Sorry, ich versteh den Eintrag nicht.

    Fordern die entsprechenden Personen denn überhaupt dass die Änderungen nicht nachvollziehbar sein dürfen? Wären dann die Offline-Archive noch unberührt?

    Also man könnte doch z.B. den Namen des Täters löschen und dazu schreiben "Name des Täters gelöscht um Rehabilitation zu erleichtern".

    Dann ist der Täter geschützt und die Gesellschaft kann überwachen an welchen Stellen versucht wird zu manipulieren. Und wenn ein Verdacht aufkommt ist immer noch das Offline-Archiv da.

    Keine Ahnung ob das jetzt viel Substanz hatte, aber der Blogbeitrag hatte auch nicht viel...

  • #2

    Peter Welchering (Freitag, 05 Oktober 2012 09:15)

    Der Blogbeitrag soll einfach auf das Problem aufmerksam machen, das entsteht, wenn Archiv-Einträge ohne Dokumentation verändert werden. Ihre Vorschläge, Saibhu, gehen da durchaus in die richtige Richtung.

Was kann ein Comiccast?