Warum wir eine Freiheitsethik brauchen

Teil 1: Würde und Freiheit

In den politischen Diskussionen unserer Tage fallen zwei Tendenzen immer wieder auf: die reaktionäre Flucht in die Unmündigkeit und das Ausblenden der ethischen Dimension politischen Handelns.

 

Zum einen sehnen sich nicht wenige Menschen zurück in ein noch nicht aufgeklärtes Zeitalter, weil die für die damalige Zeit unterstellten festen Bindungen und die nicht in Frage zu stellende hierarchische gesellschaftliche Struktur angeblich für eine wesentlich reduzierte Wahrnehmung von Komplexität sorgten. Wenn fest vorgegeben ist, was man zu denken hat und wie man zu denken hat, darf man sich des mitunter mühseligen Geschäftes der Reflexion aus gutem Grunde entledigen.

 

Diese reaktionäre Flucht in feste Herrschaftsverhältnisse gibt Sicherheit und wird von nicht wenigen Zeitgenossen als Erleichterung des Daseins erfahren. Man kann sich dadurch einer unangenehmen Aufgabe, nämlich der Rechtfertigung des eigenen Handelns, entziehen. gehandelt wird auf Anweisung und nach Vorgaben von sogenannten Autoritäten. Dies ist zugleich immer eine Flucht in die Unmündigkeit.

 

Die Ausprägungen dieser reaktionären Flucht sind vielfältig und münden nicht selten in einem sehr engen Heimatverständnis mitunter in der Selbstauslieferung an eine sektiererische Bewegung und in einigen Fällen sogar in terroristischen Orientierungen.

 

Manchmal können diese Tendenzträger aber auch vom rechten oder linken Rand der Volksparteien aufgefangen werden. Doch die Ränder der Volksparteien sind in dieser Hinsicht brüchig geworden. Deren integrative Funktion hat sich erheblich abgeschwächt, und sie schwächt sich weiterhin ab. Das gibt durchaus Anlass zu ernster Sorge.

 

Noch ernster wird die Sorge aber bei Betrachtung der zweiten in der politischen Diskussion sogar zunehmend dominierenden Tendenz, die man insofern als die Negation des Ethischen bezeichnen kann, weil bei ihr das Fehlen jedweder ethischen Überlegung maßgeblich ist.

 

Einige Beispiele aus dem kommunalpolitischen Alltag mögen dies veranschaulichen. Da fordern Stadträte der beiden großen Volksparteien, dass im Mitteilungsblatt eines kommunalen Zweckverbandes Autoren nicht veröffentlichen dürfen, wenn sie Mitglieder einer politischen Partei sind. Auf die Verletzung der Meinungsfreiheit und mithin des Artikels 5 des Grundgesetzes angesprochen, argumentieren die Stadträte, dieses Publikationsverbot treffe ja alle Mitglieder politischer Parteien im Einzugsgebiet. Insofern sei Gleichbehandlung garantiert.

 

Auch die Oberbürgermeisterin einer Großen Kreisstadt in Baden-Württemberg schließt sich dieser Meinung an. In der Diskussion stellt sich dann heraus, dass die hier als Zensur-Befürworter Auftretenden keinesfalls prinzipielle Gegner von Meinungsfreiheit sind. Sie argumentieren vielmehr mit einer Nützlichkeitserwägung. Wenn Mitglieder der in der Zweckverbandsversammlung vertretenen politischen Parteien im Mitteilungsblatt ihrer Meinung zu Angelegenheiten des Zweckverbandes veröffentlichen, sei der Leser und Bürger mit einer unüberschaubaren Vielfalt im politischen Meinungsstreit konfrontiert, die er nicht mehr einordnen könne. Deshalb sei es nützlich, hier Publikationsverbote auszusprechen.

 

Die ethischen Konsequenzen dieses Publikationsverbotes bleiben unberücksichtigt, werden sogar ganz bewusst aus der Diskussion ausgeblendet. Ähnlich bei der Forderung eines eher im rechten Spektrum agierenden Stadtrates, der sich dafür einsetzt, Eltern von in der Öffentlichkeit Alkohol trinkenden Kindern und Jugendlichen mit einem Fahrverbot zu belegen. Ein anderer Kommunalpolitiker will Eltern derart sich verhaltender Kinder sogar an einen virtuellen Pranger im Internet stellen.

 

Auch hier werden Nützlichkeitserwägungen angestellt. Und die Argumentationslinie in diesem Fall verlief ungefähr so: Trinken Kinder und Jugendliche in der Öffentlichkeit Alkohol und verhalten sich infolge übermäßigen Alkoholgenusses sogar regelwidrig, haben die Eltern ihrer Erziehungspflicht nicht genügt. Diese Pflichtverletzung muss geahndet werden, damit die Eltern bei ihren Kindern durchsetzen, dass diese keinen Alkohol mehr in der Öffentlichkeit trinken. Deshalb muss eine Konsequenz angedroht werden, die ausreichend abschreckend ist. Denn nur ein hoher Abschreckungseffekt würde sich als nützlich erweisen.

 

Als in der Diskussion darauf verwiesen wird, man möge bedenken, dass durch eine solche – zudem unverhältnismäßige – Konsequenz die Würde der Eltern verletzt werde, wird dies zurückgewiesen. Hier gehe es nur darum, in der Öffentlichkeit Alkohol trinkende Kinder und Jugendliche aus dem Stadtbild zu entfernen. Mit Würde habe das nichts zu tun.

 

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