Die Lizenz der Exekutive zum Lügen - Was machen wir Journalisten mit Geheimnissen?

 

Nachdem Generalbundesanwalt und Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz die Strafrechts-bazooka gegen netzpolitik.org abgeschossen hatten, wurde und wird viel darüber diskutiert, was Landesverrat, was Geheimnisverrat überhaupt sei. Ein Journalistenverbandsfunktionär forderte sogar, Journalisten generell strafrechtlich auszunehmen, wenn es um Landesverrat gehe. Politiker verschiedener Coleur beklagten, dass Geheimnisse heutzutage nicht mehr gewahrt würden. Vertreter der obrigkeitsstaatlichen Kampfpresse forderten ein neues Standesrecht für Journalisten, inklusive Schweigegelübde. Paläokonservative Publizisten wollten Blogger um keinen Preis als Journalisten anerkennen.

 

Die Debatte um investigatives Arbeiten und über die Pflicht der Journalisten, hinter den Politbüro-Verlautbarungsstil von Verwaltungen und Ministerien zu schauen, ist ein wenig unübersichtlich geworden.

 

Natürlich stehen Journalisten nicht über oder neben dem Recht, erst recht nicht außerhalb der Gesetze. Das habe ich auch nie gefordert. Aber wenn eine großkoalitionäre Bundesregierung ein Gesetz wie den § 202 d StGB durchpeitschen will, um journalistische Arbeit damit kriminalisieren zu können, dann ist entschiedener Widerstand angesagt.

 

Natürlich muss ich bei jeder Verschlusssache, die ich mal eben so im Stadtpark finde, bei jedem Geheimnis, das mir anvertraut wird, bei jedem „Nur für den Dienstgebrauch“ gestempelten Dokument genau abwägen, ob hier eine berufsethische Pflicht zur Veröffentlichung oder zum Stillschweigen vorliegt. Über einen Computervirus, der demächst den Videorechner des IS ausknipsen soll, werde ich nicht in der Saudi Post veröffentlichen, sondern Stillschweigen bewahren. Über einen Bundestrojaner, der – rein technisch gesehen - für verbotene Massenüberwachung eingesetzt werden kann, muss ich berichten.

 

Natürlich muss ich Politiker und Verwaltungschefs entlarven, die der unsinnigen Meinung sind, mit ihrem Amt hätten sie auch eine Art Lizenz zum Lügen erhalten. Und ich muss den Chefdementierern in den Kommunen, auf Landes- und Bundesebene Stück für Stück nachweisen, dass sie die Unwahrheit sagen.

 

Dabei stelle ich seit einigen Jahren zwei Tendenzen fest: Erstens werden immer mehr Themen mit den daran hängenden Dokumenten, die zwingend öffentlich debattiert werden müssen, von Verwaltungen für vertraulich erklärt. Unsere Politiker und Verwaltungschefs vertuschen zunehmend, greifen verstärkt zur Lüge als taktischem Mittel der Politik. Und sie haben allen Grund dazu, weil in der Exekutive noch nie so weitreichend Gesetze gebrochen und illegal gehandelt wurde. Das passiert auf allen Ebenen, in der Kommune, in den Ländern, im Bund.

 

Zweitens nimmt die Zahl der Einschüchterungsversuche von Journalisten massiv zu, auch auf allen Ebenen. Das passiert mal provinziell-massiv mit dem Vorschlaghammer, indem einem Journalisten, der verschwundenen kommunalen Geldern nachspürt, die Leitungen im Büro gekappt werden. Das geschieht viel zu oft durch anwaltliche Einschüchterungsschriftsätze, die von Verwaltungen in Auftrag gegeben werden. Das geschieht durch offensichtlich unsinnige Strafanzeigen und Ermittlungsverfahren. Das geschieht vor allen Dingen des öfteren durch direkt-bedrohliches Ansprechen von Journalisten. Das beginnt mit Sprüchen, wie: „Weiß mein Parteifreund, Ihr Intendant eigentlich, was Sie hier treiben? Das geht weiter über die abendliche Ansprache in der Tiefgarage des Bürohauses: „Schauen Sie mal, die Tatsache, dass wir hier sind, zeigt doch, dass Sie die Finger von diesem Thema lassen sollten.“ Und das hört noch lange nicht auf mit der Ansprache jetzigen Kommunalpolitikers und früheren Finanzbeamten: „Wenn Sie so weiter machen, muss ich meine früheren Kollegen mal um Hilfe bitten.“

 

Daraus müssen wir Journalisten zwei Konsequenzen ziehen: Wir müssen unsere Wächterfunktion wahrnehmen, wenn der demokratische Rechtsstaat durch klandestine Politik Schaden zu nehmen droht. Und wir dürfen trotz der massiven Einschüchterungsversuche auf gar keinen Fall die Schere im Kopf selbstverstümmelnd ansetzen.

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Kommentare: 1
  • #1

    Daniel Lücking (Dienstag, 11 August 2015 09:39)

    Ich hatte erst ein Gespräch dieser bedrohlichen Art - aber es hat üble Wirkungen hinterlassen, die ich in zwei Artikeln festgehalten habe.
    Es erscheint abwegig und einem schlechten Film-Klischee zu entstammen - aber ist wohl doch Alltag.
    Oder um es mit den Worten eines erfahrenen Mannes aus dem weiteren Umfeld des Flughafen Hahn zu sagen: "Ich hab rund um das Thema so viele Leute kaputt gehen und auch sterben sehen - das war schon seltsam und sehr auffällig."

    https://daniel-luecking.berlin/ptbsblog/tag/adlongespraech/

    https://daniel-luecking.berlin/ptbsblog/tag/adlongespraech/

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