Bei der Vorratsdatenspeicherung geht es in erster Linie um Inhalte

Der Bundestag hat gestern das „Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten“ verabschiedet. Die Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung ist höchst umstritten. Die Kritiker befürchten eine umfassende digitale Überwachung der Bürger. Die Regierungskoalition hält dagegen, dass ja nur Verbindungsdaten und Metadaten bis zu zehn Wochen gespeichert würden, keine Inhalte. Und die Inhalte seien doch das Entscheidende.

 

Und damit sagen die Vertreter der Regierungskoalition die Unwahrheit. Es ging und geht bei der Vorratsdatenspeicherung natürlich in erster Linie um Inhalte. Es geht um die Bildung persönlicher Profile. Es geht um Daten für prädiktive Analysen. Es geht um Daten für eine effiziente und anlasslose Rasterfahndung, wobei die Raster nach den aktuellen Erfordernissen der Sicherheitsbehörden recht frei definiert werden können.

 

Denn seit den Zeiten Horst Herolds als BKA-Präsident wollen die deutschen Sicherheitsbehörden alles über den Bürger wissen, damit sie vor dem Täter am Tatort sein können. Horst Herold beschrieb das so:

„Zu unser aller Nutzen: die Polizei der Zukunft wird eine

andere, höherstufige, mit einer gesellschaftssanitären Aufgabe

sein.“ (Kriminalistik 28(1974) S 392)

Vor diesem sicherheitsideologischen Hintergrund des früheren SPD-Politikers und BKA-Chefs müssen wir die Bemühungen von Regierung und Sicherheitsbehörden um die Vorratsdatenspeicherung sehen. Denn das Heroldsche Paradigma wirkt nach.

Bei der aktuell beschlossenen Vorratsdatenspeicherung geht es den Sicherheitsbehörden denn auch darum, Daten für beliebige – auch prädiktive – Analysen zu erhalten. Der Richtervorbehalt greift weitgehend nicht. Die deutschen Nachrichtendienste sind davon entbunden und können auf die gespeicherten Metadaten und Inhalte direkt zugreifen. Und sie tauschen diese Daten natürlich mit befreundeten Diensten aus.

 

Verbindungsdaten und Inhaltsdaten lassen sich in vielen Fällen überhaupt nicht trennen. Nehmen wir mal die SMS als Beispiel. Die wird in einem Datensatz befördert und gespeichert. Da kann also der Inhalt der Meldung gar nicht von den Verbindungsdaten, sprich wer hat die SMS wann an wen gesendet, getrennt werden. Und da gibt es in vielen anderen Fällen auch zahlreiche Inhalte, die mitgespeichert werden. Darüber hinaus können die meisten Inhalte von den Metadaten rückberechnet werden.

 

Die Algorithmen, die Inhalte aus Verbindungsdaten rückberechnen, arbeiten mit einer Gewichtung von Verbindungsdaten und der Abfolge, in der diese Metadaten angefallen sind. Klingt abstrakt, machen wir alle im täglichen Leben genauso. Die Algorithmen kopieren da nur menschliches Rückschließen.

 

Beispiel: Eine junge Dame hat folgende Telefonate in genau dieser Reihenfolge geführt: Mit ihrem Gynäkologen, mit ihrem Freund, nochmals mit ihrem Gynäkologen, mit ihrem Freund, danach mit ihrer besten Freundin, mit ihren Eltern und mit einem Spezialgeschäft für Babyausstattung. Was schließen wir jetzt daraus?

 

Die Algorithmen tun in diesem Fall genau dasselbe. Die berechnen eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine bestehende Schwangerschaft. Und so kann aus den vielen Metadaten, die bei der Vorratsdatenspeicherung erhoben werden, sogar mein Verhalten für die nächsten Tage prognostiziert werden. Metadaten sagen mehr darüber aus, was ich denke und tue, als der Inhalt einer Mail.

 

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Kommentare: 1
  • #1

    L. Humbert (@n770) (Freitag, 18 Dezember 2015 15:07)

    Wir haben es seinerzeit verabsäumt, das #PflichtfachInformatik einzuführen. Dies hat zu der unseligen Situation heute beigetragen. Bis heute kann ich das Planspiel Datenschutz von Volker Hammer in fasst unveränderter Form mit den Schülerinnen und Schülern durchführen: mit Papier und Bleistift Daten sammeln und auswerten und sich wundern, was aus Datenspuren herausgelesen werden kann -- ganz ohne App ;-) ganz ohne Datenbank …

Was kann ein Comiccast?