Terror-Berichterstattung: Wir Journalisten haben unseren Job nicht ordentlich gemacht

Am vergangenen Samstag hatte ich das Vergnügen und die Ehre (und ich meine das genau so), mit Ulrike Guerot und Wolfgang Neskovic unter der Moderation von Philip Banse in der Sendung Breitband auf Deutschlandradio Kultur eine Stunde über „Sicherheit und Freiheit“ zu sprechen. Und ich schreibe bewusst nicht von einer Diskussion, sondern von einem Gespräch. Denn wir haben uns hintergründig, auf die jeweils anderen Gesprächspartner achtend, über die Entwicklung nach den Pariser Terroranschlägen unterhalten.

 

Bei hintergründigen Gesprächen schlägt mitunter eine Erkenntnis ein. Das war auch so bei diesem Gespräch. Ich habe als Erkenntnis aus diesem Gespräch mitgenommen, dass wir Journalisten schon seit dem Anschlag auf Charlie Hebdo unsere Arbeit nicht mit dem kritischen Bewusstsein erledigt haben, die uns die Wahrnehmung der Wächterfunktion abverlangt. Denn wir haben uns auf die Vorgaben der Politik eingelassen und haben über Sicherheit und Freiheit als politische Zwecksetzungen berichtet und kommentiert. Wir haben nicht die notwendige Debatte über die ethische Fundierung unserer politischen und moralischen Werte geführt. Und dazu zählen Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und deren Basis: die sittliche Würde eines jeden Menschen.

 

Man muss kein Kantianer sein, um unsere rechtsstaatliche Demokratie mit ihrem Grundgesetz aus dem Konzept der Würde des Menschen abzuleiten. Aber in der Debatte über neue sicherheitspolitische Forderungen und Einschränkungen unserer individuellen und bürgerlichen Freiheiten haben wir Journalisten überwiegend über die damit verfolgten politischen Zwecke diskutiert und eben nicht über die politischen Werte, die diesen Zwecken zugrundeliegen oder ihnen widersprechen.

 

Wir haben keine Debatte über die weitgehend amoralische Begründung der vorgetragenen sicherheitspolitischen Forderungen geführt. Wir haben keine ethische Diskussion über die moralische Pflicht, entschieden für unsere Demokratie einzutreten, geführt. Wir haben nicht ausreichend und hinreichend aufgezeigt, dass  nicht die Terroristen unsere die rechtsstaatliche  Demokratie begründenden Werte zerstören können, sondern nur wir selbst. Und wir haben es unterlassen, deutlich darauf hinzuweisen, dass die von der Politik geforderten verschärften Sicherheitsgesetze, die zusätzliche Machtfülle für Sicherheitsbehörden und der damit verbundene Ausbau des nachrichtendienstlich-industriellen Komplexes den Werten unserer Freiheit garantierenden rechtsstaatlichen Demokratie widersprechen, weil sie ein amorphes Sicherheitsbedürfnis zum politischen Zweck erklären und über die Werte der freien Welt, über die sittliche Würde des Menschen stellen.

 

Es stellt sich die Frage, warum wir Journalisten hier so gründlich versagt haben. Die Motive und Ursachen für dieses Versagen sind vielfältig. Zunehmend verweigern sich Journalisten einem ethischen Diskurs zur Klärung moralischer Fragen. Eine emotive „Begründung“ ist eben viel bequemer. Wir Journalisten sind also denkfaul geworden.

 

Dann schwimmen nicht wenige Kollegen und Kolleginnen gern im sogenannten Mainstream mit. Der Mainstream blendet jede ethische Diskussion aus und will sie vermeiden. Einige machen auch das aus Bequemlichkeit. Andere wollen die mühsam erworbene Nähe zur Macht nicht verlieren und erlauben sich und ihren Lesern, Hörern und Zuschauern nur die von der Politik vorgegebene Frage nach politischen Zwecken. Die Frage nach moralischen Werten und ihrer ethischen Begründung stört den politischen Betrieb. Deshalb wird sie ausgeblendet.

 

Schließlich hat sich das berufliche Selbstverständnis bei nicht wenigen Kollegen und Kolleginnen so stark verändert, dass sie den Rekurs auf politische und moralische Werte ablehnen. Sie haben die Wächterfunktion, die nur durch einen moralischen Wert legitimiert ist, aufgegeben und sie durch Unterhaltungs- oder Nutzwertfunktionen ersetzt.

 

 Journalismus wird nicht mehr in seiner ethischen Diskursfunktion gesehen, sondern ausschließlich als Marktfunktion. Deshalb sollen wir ja auch alle zur – horribile dictu – „journalistischen Marke“ werden müssen. Dieses klammheimliche neoliberale Berufsverständnis geht eine innige Beziehung mit einem biedermeierlichen Selbstverständnis ein und führt zu einem oberflächlich gesehenen Verständnis des Journalisten als „Content-Lieferanten“, der sich über seine persönlichen moralischen Werte und berufsethischen Fundierungen keine Gedanken mehr machen muss. Das erledigt die Politik für ihn, indem sie Zwecke vorgibt.

 

Ich habe in der Nacht auf Sonntag schlecht geschlafen, weil mir nach diesem Gespräch in der Breitband-Sendung klar geworden ist, wie weitgehend wir Journalisten hier versagt haben. Aber es hilft nicht. Es gibt nur die Option, dieses Versagen klar zu benennen und alle Kolleginnen und Kollegen dazu aufzurufen: Ändert das, und zwar schnell und nachhaltig.

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