Social Media: Zwischen Aufklärung und Propaganda-Krieg

Auszug aus meinem Beitrag: Online-Journalismus, Blog, Twitter, Facebook - Zwischen Aufklärung ud Propaganda-Krieg: in: Korczak, Dieter (Hg): Meinungsfreiheit oder die Macht der Medien, Kröning 2016, Seite 87-105

Ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die starke Wirkung der Pro-Kreml-Propaganda im Meinungskrieg um die Ukraine ist die ungemein sorgfältige Planung der Social-Media-Kampagnen. Das Konzept dafür ist eine Gemeinschaftsarbeit der Akademie des russischen Innenministeriums in Wolgograd und der Akademie des Inlandsgeheimdienstes FSB in Woronesch.

 

 

 

Umgesetzt wird dieses Konzept in ganz konkrete propagandistische Postings und Tweets von eigens gegründeten Agenturen, die in engem Kontakt zu Instrukteuren des Nachrichtendienstes des Präsidenten, abgekürzt FSO, stehen. Eine dieser Agenturen hat ihren Sitz in Sankt Petersburg und nennt sich „Internet Forschungsagentur“.

 

 

 

Ehemalige Mitarbeiter dieser Agentur haben dem vom US-Kongress finanzierten Radio Liberty in ausführlichen Interviews über ihre Arbeit für die Internet Forschungsagentur berichtet. Außerdem spielten Agentur-Mitarbeiter dem Blogger-Netzwerk  „Globalvoicesonline.org“ Informationen über die Propagandatätigkeit der Sankt Petersburger Agentur zu.

 

 

 

Die russischen Propagandafabriken

 

 

 

Neben den ungefähr 400 Mitarbeitern der Sankt Petersburger Agentur sollen noch weitere 200 Mitarbeiter in ähnlich strukturierten Agenturen in Woronesch und Moskau diese Art von Netzpropaganda betreiben.

 

 

 

Die Arbeit in Dreierteams und mit sogenannten „Wortmatrizen“ werden von den FSO-Instrukteuren vorgegeben. Wortmatrizen sind dabei eigens ausgearbeitete Sätze und Satzbestandteile, die über ausgeklügelte Sprachbilder und deren lautmalerische Wirkung besonders manipulativ wirken.

 

 

 

In den Dreierteams ist ein Propagandist für die Darstellung der guten Sache der russischen Regierung zuständig. Ein zweiter Mitarbeiter gibt den etwas trottelig wirkenden Gegner. Das dritte Teammitglied gibt sich neutral, soll aber manipulativ eine pro-russische Tendenz verfolgen. Dieses Team-Mitglied ist auch für das Posten von Putin-Bildern und Fotos verantwortlich, die einen Anlass für pro-russische Äußerungen im Netz geben sollen.

 

 

 

Propagandaschlachten brauchen eine klare Sprachregelung. Denn Propaganda im Internet ist nur dann erfolgreich, wenn sie glaubhaft wirkt. Glaubhaft wirkt, wer als guter Mensch erscheint, Privates von sich im Netz preisgibt und schöne Bilder postet. Außerdem muss genau festgelegt sein, mit welchen Attributen und Eigenschaften welche Politiker belegt werden sollen und mit welchen Wörtern und Sprachbildern welche propagandistische Wirkung erzielt werden kann.

 

 

 

Deshalb haben russische Sprachwissenschaftler bereits vor zehn Jahren Handreichungen für die Netzpropaganda am Forschungsinstitut für Telekommunikation des Inlandsgeheimdienstes FSB erarbeitet. Aus den dafür notwendigen semantischen Analysen ist die Technik der Wortmatrix entstanden.

 

 

 

Um eine Wortmatrix zu erstellen, wird eine Begriffsdimension vorgegeben. Das kann zum Beispiel das Gegensatzpaar „glaubwürdig – unglaubwürdig“ sein. Danach werden Wörter gesucht, die nach allgemeinem Sprachgebrauch ein eher unglaubwürdiges Verhalten anzeigen. Bestimmte Kombinationen von Vokalen und Konsonanten unterstreichen diese Begriffsdimension noch.

 

 

 

Außer solchen Wortlisten werden auch noch Sprachbilder, wie zum Beispiel „der Feuerschweif der ukrainischen Kanonen“ oder „die weißen Medikamente bringenden Lastkraftwagen“ vorgegeben, deren Wirkung auf den Leser recht aufwändig erfasst und berechnet wurde.

 

 

 

Nach der Auflösung des russischen Auslandsgeheimdienstes KGB im Herbst 1991 ist das Lehrfach „Spetspropaganda“ an der Universität des Verteidigungsministeriums gestrichen worden. Zahlreiche Propaganda-Experten des aufgelösten KGB gründeten Kommunikationsagenturen, unter anderem  in Moskau, Woronesch, Rostow am Don, Sankt Petersburg und Wolgograd.

 

 

 

Diese Agenturen werden teilweise von staatlichen Stellen mit ganz normalen Public-Relations-Projekten beauftragt. Teilweise erfolgt die Beauftragung in Sachen Internet-Propaganda über zwischengeschaltete Scheinfirmen.

 

 

 

Im Jahr 2010 wurde der Lehrstuhl für spezielle Propaganda an der Universität des Verteidigungsministeriums auf Befehl des Präsidenten wieder eingeführt. In enger Zusammenarbeit mit der Akademie des Inlandsgeheimdienstes FSB, der Akademie es russischen Innenministeriums und des technischen Geheimdienstes SSSI (übersetzt: Abteilung für Sonderfernmeldewesen und Kommunikation) entstanden penibel ausgearbeitete Vorschriften für die Netzpropaganda.

 

 

 

Der Lehrstuhl für Informationssicherheit an der Universität des Verteidigungsministeriums führt Netzpropagandakurse für Offiziere, Journalisten und die Instrukteure des Nachrichtendienstes des Präsidenten, FSO, durch. Den FSO-Instrukteuren obliegt auch die Koordinierung der Arbeit der Netzagenturen, die mit der Durchführung von Propaganda-Kampagnen beauftragt werden.

 

 

 

Der Konflikt in der Ost-Ukraine macht es wieder einmal deutlich: Viele Staaten nutzen Soziale Medien für ihre Propaganda. Aber nicht immer sitzen Menschen an den Rechnern, die auf Twitter, Facebook & Co Meinungsmache und sogar Desinformation betreiben.

 

 

 

Propaganda-Bots automatisieren den Information Warfare

 

 

 

Denn Propaganda im Internet ist eine aufwändige Sache. Allein die chinesische Regierung setzt Informationen westlicher Nachrichtendienste zufolge zirka 30.000 Social-Media-Experten ein. Die twittern, posten und kommentieren auf diversen Plattformen, um den Standpunkt der Regierung darzustellen, Gegner zu verunglimpfen und aller Welt zu zeigen, dass die chinesischen Bürger hinter ihrer Regierung stehen.

 

 

 

So etwas kostet viel Geld. Deshalb sind gegenwärtig viele Regierungen dabei, diese Propaganda im Netz zu automatisieren. Propaganda-Bot genannte Software macht das ohne menschliches Zutun. „Das sind Computerprogramme, die sinnvolle Texte schrieben und Diskussionen in sozialen Netzwerken führen können“, erläutert der Sprachwissenschaftler Joachim Scharloth.

 

 

 

Er hat an der Technischen Universität Dresden einen solchen Propaganda-Bot gebaut, um zu zeigen, wie diese Software funktioniert und wie Regierungen Software-Bots für ihre strategische Kommunikation schon heute einsetzen. „Unser Bot ist eine ziemlich einfach gestrickte Software, die auf Putin-kritische Beiträge reagiert“, berichtet Scharloth.

 

 

 

Die Software analysiert die Art der Kritik und antwortet darauf. „Wenn Putin zum Beispiel vorgeworfen wird, er sei nationalistisch, antworte der Bot, Putin sei patriotisch und diene seinem Volk“, schildert Joachim Scharloth die Funktionsweise.

 

 

 

Entwicklungsarbeiten wie die von Joachim Scharloth stehen bei vielen Regierungen dieser Welt und ihren Nachrichtendiensten hoch im Kurs. So hat der russische Auslandsgeheimdienst allein im vergangenen Jahr mehr als eine Million US-Dollar in ein Entwicklungsprojekt namens Storm-13 gesteckt.

 

 

 

Im Projekt Storm-13 soll Software entwickelt werden, die über die ganze Welt verteilte  Propaganda-Bot-Netzwerke steuern kann. Mehrere Millionen Propaganda-Bots sollen die Stimmung in allen gängigen Netzwerken im Sinne der russischen Regierung beeinflussen.

 

 

 

USA haben die Nase vorn bei den Propaganda-Bots

 

 

 

Auch die amerikanischen Militärs sind in Sachen Propaganda-Bots äußerst umtriebig. So lässt die Forschungsagentur des Pentagon, die Defense Advanced Research Project Agency, bereits seit mindestens sechs Jahren Propaganda-Bots entwickeln. Das Cyber Command des US-Militärs setzt diese Software auch für gezielte Desinformation und Stimmungsmache im Internet ein.

 

 

 

Gegenwärtig läuft eine größere Ausschreibung der US-Forschungsagentur für Projekte, um die Bots für sehr anspruchsvolle politische Diskussionen im Netz fit zu machen. „Es wird komplizierter, je mehr Züge so eine Kommunikation hat“, erklärt Joachim Scharloth das Problem.

 

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