Die Jagd amerikanischer Nachrichtendienste auf Informanten in Deutschland dürfte sich mit den neuen gesetzlichen Grundlagen für mehr Videoüberwachung noch massiv verschärfen.
Die neuen Regelungen entsprechen sehr weitgehend den Forderungen amerikanischer Sicherheitspolitiker. In unserem Buch "Informantenschutz" zeigen wir auf, was dahinter steckt.
Hier eine Leseprobe:
Seit wir Kenntnis von einer neuen forensischen Methode der Sicherheitsbehörden haben, Informanten trotz Verzerrung der Stimme und Maskierung im Bild zu enttarnen, lassen wir die Statements von Informanten durch Schauspieler nachsprechen.
Das machen leider nicht alle Hörfunk- und Fernseh-Journalisten so. Sie gefährden dadurch massiv die Sicherheit ihrer Informanten. Einem Soldaten der US Army wurde das zum Verhängnis. Er hatte Journalisten einer Fernsehstation Statements über ein von der National Security Agency betriebenes Spionagerechenzentrum in Deutschland gegeben. Trotz Verzerrung der Stimme und Maskierung des Bildes wurde der Soldat von US-Ermittlern enttarnt und war sofort in die USA überstellt worden. Es gab Gerüchte, er sei zu einer mehrjährigen Haftstrafe wegen Geheimnisverrats verurteilt worden.
Auf einer Forensiker-Tagung im Mai 2014 in Münster wurde die Methode offenbar, mit der amerikanische Ermittler den Informanten identifizieren konnten. Bei jeder Audioaufnahme – egal ob mit dem Aufnahmegerät eines Hörfunk-Journalisten oder mit der Kamera aufgenommen – wird die elektrische Netzfrequenz der Umgebungsgeräte in die Tonaufnahme eingestreut.
Die elektrische Netzfrequenz verrät also unter Umständen den Informanten. Sie liegt in Deutschland bei 50 Hertz als Normwert. Die zum Beispiel in einem Fernsehstudio oder Konferenzraum, in dem Statements aufgenommen werden, zu messende elektrische Netzfrequenz weist verbrauchsbedingt leicht davon ab und liegt in einer Sekunde zum Beispiel bei 49,9999 Hertz, in der nächsten bei 49,9988 Hertz und kurz drauf etwa bei 50,0001 Hertz.
Diese Schwankungen sind im Versorgungsgebiet einer Verteilstation gleich. Seit dem Jahr 2009 zeichnen nun Sicherheitsbehörden den Verlauf der elektrischen Netzfrequenz auch von mehreren zehntausend Verteilstationen im gesamten Bundesgebiet auf. In den USA und in Großbritannien erfolgt diese Aufzeichnung schon seit längerer Zeit.
Im Fall des whistleblowenden Soldaten der US-Army haben die amerikanischen Sicherheitsbehörden die elektrischen Netzeinstreuungen der gesendeten verzerrten O-Töne extrahiert. So erhielten sie ein Verlaufsmuster der elektrischen Netzfrequenz (ENF) von mehreren Minuten und glichen diese Verlaufsmuster mit den in der ENF-Datenbank gespeicherten Verlaufsmustern ab. Dieser Datenabgleich lieferte das Datum und die im Viertelstundentakt genaue Zeitangabe der Aufnahme sowie das Einzugsgebiet der Verteilstation.
Der Rest war reine Ermittlungsroutine, zwar aufwändig, aber machbar. Mit den von der ENF-Datenbank gelieferten Datums- und Zeitangaben versehen, beschafften sich die US-Ermittler Aufzeichnungen von Überwachungskameras aus dem gesamten Versorgungsgebiet der betreffenden Verteilstation. Sie erweiterten dabei den Zeitkorridor um jeweils eine Stunde nach vorn und hinten.
Die Fülle des auszuwertenden Videomaterials war erheblich. Mehr als 150 Überwachungskameras aus dem gesamten Versorgungsgebiet lieferten mehr als vierhundert Stunden Videomaterial. In einem ersten Analyselauf ließen die US-Ermittler nichtrelevantes Ermittlungsmaterial von einer Analysesoftware ausscheiden. So wurde das mehr als vierhundert Stunden umfassende Videomaterial auf weniger als 60 Stunden reduziert.
Dieses Material enthielt auswertbare Personenaufnahmen, die die US-Ermittler von einer Gesichtserkennungssoftware analysieren ließen. So erhielten sie die Identität von etwas mehr als 700 Menschen, die sich zum fraglichen Zeitpunkt im Versorgungsgebiet der Verteilstation befunden hatten und dort zielbewusst eine Adresse ansteuerten. Letzteres lässt sich von Analysesoftware, wie sie unter anderem im Indect-Forschungsprogramm der Europäischen Union zum besseren Schutz vor terroristischen Angriffen entwickelt wurde, mit einem sehr hohen Wahrscheinlichkeitswert berechnen.
Ausgestattet mit den Angaben zur Person von über 700 Verdächtigen klärten die US-Ermittler die Hintergründe der so Ermittelten ab. Es blieben knapp 30 Verdächtige übrig, die einen Bezug zum US-Militär oder zur National Security Agency aufwiesen. Wie die US-Ermittler, die auf deutschem Hoheitsgebiet nicht einfach Verhöre durchführen dürfen, dann auf den tatsächlichen Informanten gekommen sind, ist nicht geklärt.
Entweder wurden die übrig gebliebenen Verdächtigen durch weiteres Material, das die Ermittler recherchierten, entlastet, oder der betreffende Informant gab seinen Geheimnisverrat zu. Ob und inwiefern diese Ermittlungsarbeit rechtsstaatlich korrekt durchgeführt wurde, scheint fraglich, kann aber letztlich nicht erwiesen werden. Auch die verschiedenen Arten der Kooperation mit deutschen Diensten oder deutschen Sicherheitsbehörden konnten trotz intensiver Recherchen nicht aufgedeckt werden.
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