Mut zum Journalismus, Teil 2

Warum wir unseren Berufsstand nicht einfach abschaffen lassen sollten und was wir dagegen tun müssen.

 

Zu Teil 1

 

 

 

 

 

 

Journalismus als Dienstleistung für die Bürger des freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaats zu sehen, ist zur Zeit einfach nicht en Vogue. Content Marketing als journalistische Dienstleistung, die Ablösung journalistischer Angebote durch Formate der Dauerbespaßung oder das besinnungslose Nachschreiben vorgegebener Stereoptype politisch-gesellschaftlicher Herrschaftsnarrative sind an ihre Stelle getreten.

 

 

 

Das hat unser Gewerk in eine sehr ernste Glaubwürdigkeitskrise gebracht. Doch statt darauf zu reflektieren, dass Glaubwürdigkeit mit der Verpflichtung auf Wahrhaftigkeit und mit dem Auftrag der Aufklärung zu tun hat, belassen wir Journalisten es bei Ausflüchten, warum wir unsere Arbeit nicht mehr ernst nehmen oder ernst nehmen können und wollen. Und damit verlieren wir noch stärker an Glaubwürdigkeit.

 

 

 

Um eine Wahrheit können wir uns nicht herummogeln: Niemand will oder braucht Wert-losen Journalismus. Einen den noch immer gültigen Werten der Aufklärung verpflichteten Journalismus zu betreiben, ist mühsam. Aber es ist aller Mühen wert.   

 

 

 

 

 

Denn in der Krise befindet sich in erster Linie der sogenannte journalistische Mainstream. Den üben Kolleginnen und Kollegen aus, die ihre Arbeit in den Dienst einer journalistisch verbrämten Politik stellen oder ihn in erster Linie zu Zwecken des Selbstmarketing betreiben. In beiden Fällen handelt es sich um Sonderformen eines anwaltschaftlichen Journalismus.

 

Und dieser anwaltliche Journalismus gebiert eine Attitüde der Selbstdarstellung, die dann die Geschichte völlig hinter die Person des Journalisten treten lässt. Damit werden aus Journalisten Journalistendarsteller.

 

 

 

Der Journalist müsse zur Marke werden, lautet eine dieser neudeutschen Forderungen. Journalistische Persönlichkeiten seien unverkäuflich, weil von gestern. Aber Selbstmarketing sei die zentrale Aufgabe, der sich Journalisten stellen müssten. Nun gut, es gab immer Aufschneider, die viel Luft produziert und in die Medienwelt geblasen haben. Die sollen jetzt ihre offiziellen Weihen bekommen. Das Luftblasen wird zur neuen journalistischen Tugend, und damit gehen die Verpflichtung zur Wahrheit, Recherchekompetenzen und stilistische Fähigkeiten den Bach runter.

 

 

 

Der neue Journalismus, so wird mir versichert, brauche alle diese hoffnungslos veralteten Werte nicht mehr. Mittlerweile besuche ich schon keine Konferenzen zum Thema journalistischer Bildung mehr, weil ich das dort veranstaltete Bullshit-Bingo einfach nicht mehr ertrage.

 

 

 

Im Journalismus zählt allzu oft Wahrheit nicht mehr, sondern nur noch die ahnungslose Selbstinszenierung. Damit machen wir Journalisten uns überflüssig, weil wir unserem gesellschaftlichen Auftrag nicht mehr nachkommen. Vor allen Dingen die offen zelebrierte Ahnungslosigkeit als neue journalistische Tugend, ist einfach nur noch entsetzlich.

 

 

 

 

 

 

Manchmal bin ich dann doch froh, älter zu sein. Immer klarer wird für mich, dass ich doch in einer komfortablen Situation lebe, weil ich mir und anderen nun wirklich nichts mehr beweisen muss. Ich muss deshalb auch keine Rücksicht auf diese neudeutschen journalistischen Trends nehmen und kann an meinen alten Werten und Überzeugungen knorrig festhalten. Ich nehme immer stärker wahr, dass Altwerden auch eine befreiende Funktion haben kann.

 

 

 

 

 

 

 

Und ich werbe für und fordere eine so gute handwerkliche und systematische Ausbildung von Journalistinnen und Journalisten, dass die Kollegen genau wissen, wie sie Beiträge planen und dann auch erfolgreich realisieren. Das setzt aber eine umfassende Aus- und Fortbildung voraus.

 

 

Diese muss sich an den entwickelten berufsethischen Regeln, Stilformen, Recherchetechniken und Präsentationsformen orientieren und diese weiterentwickeln. Semiausbildungen zu Bindestrich-Journalisten (Drohnen-Journalismus, Social-Media-Journalismus, Daten-Journalismus, Investigativ-Journalismus, Breaking-News-Journalismus, Mode-Journalismus und wie diese Halbheiten alle heißen) helfen da nicht viel weiter. Denn dort werden die journalistischen Grundlagen nicht vermittelt, sondern Schaumkrönchen. Wer mit diesem Schaumkrönchenwissen in eine Live-Situation geht, wird scheitern.

 

 

Natürlich ist nichts gegen ein zum Beispiel datenjournalistisches Fortbildungsseminar einzuwenden. Wer aber meint, damit journalistisches Grundlagenwissen ersetzen zu können, der irrt.

 

Dummerweise werden auch in solchen „Bindestrich-Fortbildungen“ oftmals nicht einmal die für diese den Journalismus ergänzende Disziplin notwendigen Grundlagen vermittelt. Wenn ein Kollege von einem Seminar über Datenjournalismus zurückkommt und weder Graphentechnologie auf ein umfängliches Rechercheprojekt anwenden kann noch weiß, was es mit der Gaußschen Normalverteilung auf sich hat, stattdessen aber jede datenjournalistische Bullshit-Bingo-Runde mit den entsprechenden Hashtags versorgen kann, war das für ihn und die Redaktion verlorene Zeit.

 

 

Und hier liegt der Hund begraben. Damit Journalisten ihre Wächterfunktion ausüben können, brauchen sie Grundlagenwissen und müssen geübt haben, es anzuwenden.

 

 

Der Floskelkoffer aus dem Beratergewerbe wird ihnen bei ihrer Aufgabe nicht helfen. Das wird dann anlässlich solcher aus dem Ruder gelaufenen Liveberichte von Tatorten schmerzhaft erfahren.

 

Die Konsequenz daraus muss lauten: Zurück zu den journalistischen Grundlagen!

 

 

Dabei steht völlig außer Frage, dass diese Grundlagen durch zusätzliche technische Kompetenzen und digitale Recherchemethoden ergänzt werden müssen. Wir sollten endlich in unserem Gewerk damit aufhören, hier künstliche Gegensätze aufzubauen und daraus eine Art weltanschaulichen Streit erwachsen zu lassen. Wir brauchen natürlich beides: Journalistische Grundlagen und erweiternde technische und methodische Kompetenzen.

 

 

Ein Seminar zur Vermittlung von Social-Media-Souveränität in Breaking-News-Situationen hilft nur dann weiter, wenn das klare Wissen um die klassischen Nachrichtenfaktoren, die Kreuzrecherche dazu und die – in berufsethischer Hinsicht – saubere Präsentation vorhanden iost. Auch wenn der innovative New-Media-Zeitgeist das ziemlich retro findet.

 

 

Auf der anderen Seite kommen aus genau dieser Ecke die Wehklagen, und es wird ohne Ende lamentiert, dass unser Gewerbe ein aussterbendes sei. Gefordert wird dann mal eben ganz flott, die journalistische Tätigkeit als gemeinnützige im steuerrechtlichen Sinne anzuerkennen, und einige wollen den Journalismus herrlichen crossmedialen Zeiten entgegenführen, ohne genau zu sagen, was sie sich darunter vorstellen.

 

 

Das Geheule ist nicht neu, aber nach wie vor furchtbar. Neue Finanzierungsmodelle, neue Formen der Zugangsbeschränkung in diesen einst freiesten aller Berufe, von neuen Journalismen wird geraunt, die die alte, verstaubte, aus den Zeiten des Print und des Rundfunks stammende Profession ablösen wird.

 

 

Die Zukunft des Journalismus liegt dann wahlweise im Drohnen-Journalismus, im Daten-Journalismus oder im Roboter-Journalismus. Neue Studiengänge entstehen, die die Zukunft des Journalismus abzusichern vorgeben, aber eigentlich nur die Segmentierungstheorie aus den 1980er-Jahren auf die journalistische Ausbildung anwenden, derzufolge damals aus Musikwissenschaft das Spezialfach mittelalterliches Flötenspiel zu werden hatte.

 

 

Zukunftspapiere entstehen zu Hauf. Man kann sie gar nicht alle lesen, und es lohnt zum größten Teil auch nicht. Die einen schwärmen darin, dass der Journalismus der Zukunft selbstbestimmte Arbeit bringen werde, die anderen sehen das Heil des Gewerbes im Journalismus Marke Ich-AG, und Dritte wiederum glauben, dass nur noch Stiftungen und Crowdfunding das so ersehnte Heil in dieser heillosen journalistischen Gegenwart bringen.

 

Eine vierte Richtung wiederum will Journalismus als auf reines Medienmanagement reduzieren.

 

 

Es wird darum gestritten, ob Storytelling oder Corporate Publishing mit dem Sonderbeschäftigungsbereich Native Advertising die besseren Jobs im Journalismus der Zukunft sichern, und debattiert wird, ob nicht doch Content Delivery die hauptsächliche Ausübungsform in diesem Gewerbe sein wird.

 

 

Vergessen wird in allen diesen Diskussionen vollkommen, dass der Journalismus nur dann eine Zukunft hat, wenn wir Journalisten unsere Arbeit handwerklich sauber erledigen, mit der diese Gesellschaft uns beauftragt hat, und diese Aufgabe heißt:

 

Die journalistische Wächterfunktion wahrnehmen!

 

 

Diese Aufgabe hat viele Aspekte, stellt hohe Herausforderungen und setzt eine ganze Menge methodisches Wissen, aber auch enorm viel Leidenschaft für die Wahrheit, für das System der Checks & Balances, auf dem rechtsstaatliche Verfasstheit beruht, und für diese demokratisch organisierte Gesellschaft voraus.

 

 

Das ist zweifellos unangenehmer, als sein Heil in neuen Bindestrich-Journalismen à la mittelalterlichem Flötenspiel zu suchen, denn es geht einher mit vielen Anfeindungen, extrem viel Fleißarbeit und hartem Ringen um die richtigen Worte.

 

Die Zukunft des Journalismus liegt ganz einfach darin, dass Journalisten endlich wieder die ihnen übertragene Wächterfunktion wahrnehmen. So einfach ist das!

 

 

Das Problem dabei: Viel zu wenige Journalisten tun das noch. Sie haben die Wächterfunktion aufgegeben. Denn wer es ernst meint mit der journalistischen Wächterfunktion, der eckt an, bekommt nicht selten Schwierigkeiten, wird bedroht.

 

 

Wer stattdessen lieber fürs Native Advertising schreibt oder sein Geld damit verdient, dass er Verlage und Sendeanstalten als Digital-Prophet in Grund und Boden berät, verdient mehr Geld und hat ein besseres Leben. Nur eine Zukunft hat er mit dieser kurzweiligen Publizistik-Zauberei nicht.

 

 

Deshalb sollten wir Journalisten endlich damit aufhören, dicke und weitgehend inhaltsleere Papiere über die Zukunft des Journalismus zu produzieren und uns stattdessen wieder aktiv um unsere Wächterrolle kümmern.

 

 

 

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