Es gilt das gesprochene Wort - Zum Autorisierungswahn in deutschen Redaktionen

 

Print-Interviews von deutschen Journalisten gelten bei angelsächsischen Kollegen meist als Laff-Storys: Wenig provokant, nachträglich geglättet, bloße Verlautbarungen des Gesprächspartners. Schuld daran ist eine ängstliche Autorisierungspraxis in deutschen Redaktionsstuben. Doch die muss nicht sein.

 

 

 

Es sei oft geübt, aber selten gekonnt – das Interview als journalistisches Gespräch, beschwert sich Altmeister Emil Dovifat in seiner Zeitungslehre. Das war im Jahre 1931. Viel verbessert hat sich seither nicht. Auch die in den 1930er-Jahren flächendeckend in Deutschland eingeführte Autorisierung von Interviewtexten und sogar von einzelnen Zitaten bestimmt noch immer die Interviewpraxis in deutschen Redaktionsstuben.

 

 

 

Da wird nachträglich von Interviewpartnern und deren Pressereferenten im Interviewtext herumgestrichen, ausgetauscht und verharmlost, dass vom ursprünglich geführten Interview in vielen Fällen nicht mehr viel übrig bleibt. Die Autorisierungspraxis in Deutschland sei eben Ausdruck der obrigkeitsstaatlichen Gesinnung vieler deutscher Journalisten, meinte kürzlich ein Dozenten-Kollege der Columbia School of Journalism anlässlich einer Diskussion über  unterschiedliche Interviewkulturen in den USA und Europa. So habe die New York Times ihren Autoren ausdrücklich verboten, Zitate autorisieren zu lassen, während zum Beispiel beim Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ die Autorisierung vorgeschrieben und den Gesprächspartnern damit sogar ein viel zu weitgehendes Änderungsrecht eingeräumt werde.

 

 

 

Richtig ist an diesem nicht gerade schmeichelhaften Urteil über die hiesige Interviewkultur, dass die Kollegen des Spiegel tatsächlich ein sehr weitreichendes Geschäftsmodell für Interviews anwenden. Dem Gesprächspartner wird der für den Druck bereits in aller Regel stark bearbeitete Interviewtext zugesandt mit der Bitte um Autorisierung. Der Interviewpartner überarbeitet den Text und schickt ihn zurück. Diese Gesprächsfassung gilt dann als abgesprochen.

 

 

 

Wenn die Änderungen dem verantwortlichen Redakteur allerdings zu weit gehen und er sie nicht mehr mittragen kann, wird das Interview nicht veröffentlicht. Auch dem Gesprächspartner wird das Recht eingeräumt, den Text in Gänze zurückzuziehen.

 

 

 

Dahinter steht die von Spiegel-Gründer Rudolf Augstein stammende Überlegung, ein Spiegel-Gespräch sei „die geprüfte und autorisierte Niederschrift einer mündlich geführten Diskussion, die zu bearbeiten oder zurückzuziehen dem Gesprächspartner freisteht“ (Spiegel-Hausmitteilung 36/1966). Nur auf dieser Weise könnten interessante Gesprächspartner für sehr kontroverse Gespräche mit Spiegel-Redakteuren gewonnen werden.

 

 

 

Diese Modell wurde von vielen Redaktionen übernommen und von ebenso vielen Politikern, Unternehmen, Parteien und deren Pressestellen missbraucht. Denn sie sahen darin nicht selten einen Freibrief, den ursprünglichen Interviewtext in einen einseitigen Propagandatext zu verwandeln.

 

 

 

Inzwischen verändert so mancher Pressereferent nicht nur munter die Antworten seines Herrn und Meisters, sondern redigiert auch die ihm unpassend scheinende Frage des zu wenig ehrfürchtig auftretenden Journalisten. So ließ die beamtete Staatssekretärin im Bundesministerium des Inneren im Herbst 2010 ihre Pressestelle in einem von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vorgelegten Interviewtext auch gleich den Vorlauf ändern, weil die vom FAZ-Autoren verwendeten Formulierungen ihr zu provokativ und deshalb unpassend erschienen. So habe ein deutscher Journalist nicht mit der politischen Elite umzugehen.

 

 

 

Außerdem beanstandete sie eine Antwortpassage über Planungen für ein bundsweites Meldeportal. Das sei zu streichen, weil die Pläne sehr umstritten seien und der Journalist die Antwort mittels unfairer suggestiver Gesprächsführung auf unkorrekte Weise provoziert habe.

 

 

 

Immerhin unternahm die ministerielle Pressestelle nur eine  Versuch, zu behaupten, die beanstandete Passagen seien so nicht gesagt worden. Auch das wird immer wieder gern probiert, war in diesem Fall jedoch von vornherein zum Scheitern verurteilt, weil der Journalist das Gespräch mitgeschnitten hatte und die im Interviewtext befindlichen Äußerungen der Staatssekretärin belegen konnte.

 

 

 

Das Interview wurde in der ursprünglichen Fassung auf einer Doppelseite der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung veröffentlicht. löste eine enorme Diskussion aus und führte schließlich dazu, dass die im Innenministerium bereits gefassten Pläne für ein bundesweites Meldeportal in den Schubladen des zuständigen Referates blieben und erst gar nicht in den Bundestag gelangten.

 

 

 

Doch solche Widerspenstigkeit von Redaktionen gegenüber Änderungswünschen oder Streichungen in Interviews sind viel zu selten in Deutschland. Das gilt für Fachzeitschriften wie für Nachrichtenmagazine. Auch in der Journalistenausbildung herrscht der Irrglaube vor, Interviewpartner hätten ein Recht auf Autorisierung und könnten beliebige Änderungswünsche im Nachhinein rechtlich durchsetzen.

 

 

 

So schreibt sogar der Journalist und Medienwissenschaftler Michael Haller in seinem Handbuch „Das Interview“: „Inhaltliche Änderungen, auch wenn sie von dem abweichen, was während des Interviews tatsächlich gesagt wurde, muss der Journalist übernehmen.“ Haller müsste es eigentlich besser wissen und hat mit seiner unsinnigen Meinung die Interviewkultur in Deutschland tatsächlich zum Schlechteren hin geprägt.

 

 

 

Im Zweifel kann sich der Journalist natürlich immer auf den Grundsatz berufen: Es gilt das gesprochene Wort! Allerdings hat das einige Voraussetzungen. Das muss mit dem Interviewpartner vor dem Gespräch so vereinbart sein, und der Journalist muss etwaig beanstandete Aussagen als wörtliche Zitate belegen können.

 

 

 

Deshalb empfiehlt sich ein Mitschnitt des gesamten Interviews. Als Audio-Aufnahmegerät eignet sich im Zweifelsfall sogar das Smartphone oder ein Diktiergerät. Allerdings sind auch hier zwei Details zu beachten. Zum einen muss der Journalist notfalls beweisen können, dass sein Gesprächspartner darüber informiert war, dass aufgezeichnet wird. Deshalb reicht es nicht, dem Interviewpartner das einfach zu sagen; der Journalist sollte diese Ansage auch bereits aufzeichnen, um einen gerichtsfesten Beweis zu haben.

 

 

 

Zum zweiten muss der Journalist nachweisen können, dass die Aufnahme des Mitschnitts nicht nachträglich verändert wurde. In digitalen Zeiten mit ihren mannigfaltigen Manipulationsmöglichkeiten ist dieser Nachweis nicht mehr ganz so trivial. Es empfiehlt sich, die Datei mit dem Mitschnitt sofort nach der Aufnahme mit einer Prüfsumme zu versehen und beides auf CD zu speichern. Durch die Prüfsumme, auch Hash-Code genannt, kann gerichtsfest bewiesen werden, dass keine nachträgliche Änderung am Mitschnitt stattgefunden hat.

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Rainer Wagner (Mittwoch, 07 November 2018 11:05)

    Wer jemals Interviews mit angesächsischen Künstlern geführt hat, wird nie den Wunsch nach Autorisierung gehört haben. Zumindest im Klassikbereich. Daniel Barenboim antwortete mir auf die Frage, ob er den Text denn gegenlesen wolle, mit einem lapidaren "Why?".

  • #2

    secondavita (Dienstag, 13 November 2018 15:20)

    Unvergessen für mich: ein schriftliches Interview mit dem Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, nach dem Jahreskongress. Meine fünf Fragen wurden vom Pressesprecher beantwortet – mit dem Hinweis: Änderungen meinerseits würde er gern autorisieren. Danke, das war´s.

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