"Investigativer Journalismus" als Krisenzeichen

Die gegenwärtige Krise des Journalismus besteht in der Aufgabe der Wächterfunktion und im Niedergang des recherchierenden Journalismus. Die handelnden Personen dabei: Verleger, Politiker, Unternehmer und nicht zuletzt: Journalistendarsteller und solche, die es unbedingt werden wollen.

 

Der sauber recherchierende Journalismus ist gegenwärtig nur noch in einer kleinen Nische zu Hause. Dort arbeiten Journalisten und Blogger an der Aufdeckung und journalistischen Darstellung, wie Politiker und Lobbyisten planmäßig die Unwahrheit sagen.

 

 

 

Aber dieser Journalismus kann derzeit nur noch als quersubventioniertes Nischenprodukt überleben. Die politisch spannenden Geschichte finden überwiegend auf Web-Plattformen statt, und sie werden von Menschen geschrieben, die vom Journalismus schon längst nicht mehr leben können.

 

 

Damit diese Arbeit der Recherche – nennen wir sie von mir aus „investigative“ Arbeit, obschon ich vom sogenannten „investigativen Journalismus“ als Kampfbegriff wenig halte, weil jeder Journalist recherchieren und insoweit „investigativ“ sein sollte – damit also diese grundlegende journalistische Arbeit erledigt werden kann, greifen Journalisten auf ihre Ersparnisse zurück, erledigen andere sog. „Brotjobs“ und investieren viel sogenannte freie Zeit und privates Geld in Stories, die geschrieben werden müssen, damit diese Gesellschaft sich noch einen Hauch von Freiheit bewahrt, damit diese einstmals mit großen Hoffnungen gegründete Republik nicht zur Bananenrepublik verkommt. Zum Glück gibt es noch zahlreiche Menschen, die das tun. Aber sie haben eine Aufgabe privatisiert, die einst von den bedeutenden Medien wahrgenommen wurde.

 

 

Doch die ehemals bedeutenden Medien machen heute Mainstream-Geschichten, und da handelt es sich um Blut, Bälle, Beichten und Babies, aber nicht mehr um den politisch wachen und selbstreflektierten Journalismus, den eine Demokratie braucht, um sich weiter entwickeln zu können. Richterin Barbara Salesch hat im ökonomisch wichtigen Aufmerksamkeitswettbewerb den Reporter, der über das Urteil der Verfassungsrichter gegen die Vorratsdatenspeicherung berichtet, längst geschlagen.

 

 

Doch es bleibt nicht bei der Krise des aufklärenden Journalismus. Wir müssen den Modebegriff eines „investigativen Journalismus“ bereits als ein Krisenzeichen verstehen. Denn sein Entstehen ist ein deutliches Zeichen, dass Recherche als journalistische Methode es schwer hat im deutschen Journalismus. Die Wortwendung von der „investigativen Recherche“ wurde hier erfunden, um das systematische und methodengeleitete Suchen und Verifizieren von Daten, Informationen, Erkenntnissen im journalistischen Gewerk eigens zu adeln.

 

 

Viele Lokalzeitungen leisten sich recherchierende Journalisten schon lange nicht mehr. Die verdeckte Recherche gilt nicht wenigen als halbseidenes Gewerbe, und die Zusammenarbeit mit Informanten aus Behörden, Unternehmen und Organisationen als semikriminell. Auf der anderen Seite feiern einige Kollegen (Kolleginnen sind hier zumeist wesentlich zurückhaltender) schon einfachste Recherche-Tätigkeiten wie das Befragen einer zweiten Quelle als investigative Superleistung und tragen somit auch gehörig zum schrägen Bild der Recherchetätigkeit von Journalisten in der Öffentlichkeit bei. Wenn dann die einfache Tatsachenüberprüfung schon als „superinvestigativ“ ausgeschmückt wird wie ein hochdramatischer Thriller, wenden sich viele Leser, Hörer und Zuschauer nur noch achselzuckend ab.

 

 

Auch in einigen öffentlich-rechtlichen Landesrundfunkanstalten konnten wir während der vergangenen Jahre beobachten, dass die Recherchemöglichkeiten in vielen Redaktionen massiv abgebaut worden sind.

 

Teilweise sind Fachredaktionen aus Kostengründen oder aus einem völlig falsch verstandenen vorgeblichen Crossmedia-Ansatz einfach abgeschafft worden. Recherche wurde nicht mehr so richtig praktiziert.

 

 

Als diese peinliche Tatsache dann vor einiger Zeit durch massive Beschwerden vor allen Dingen frei arbeitender Wissenschaftsjournalisten zunehmend öffentlich diskutiert wurde und auch wenig journalismusaffine Funkhaushierarchen sich dieser aufgezeigten Fehlentwicklung nicht mehr verschließen konnten, wurden in einigen Medienhäusern sogenannte „Investigativ-Ressorts“ als reine Alibi-Funktion eingerichtet.

 

 

In einigen Fällen wird den Journalisten des eigenen Hauses unterstellt, ohne Hilfe von außen keine vorzeigbaren Ergebnisse in Sachen „investigativer Recherche“ mehr liefern zu können. Was dann allerdings an „Investigativkräften“ von außen eingekauft oder per „Rechercheverbund“ hinzugezogen wurde, stärkte nicht unbedingt die Wächterfunktion der Medien, sondern kam allzu oft mit einer so überzogenen Pose daher, dass viel Glaubwürdigkeit verloren gegangen ist.

 

 

Das ist beileibe nicht in allen Landesrundfunkanstalten so, und das ist zum Glück nicht in allen Medienhäusern so. Es gibt noch immer viele Redaktionen, deren Berichterstattung von einer methodisch sauberen Recherche getragen wird. Aber die Zahl dieser Redaktionen nimmt ab. Und darin liegt eine große Gefahr.

 

 

Und die Entwicklung greift weiter. Einige Verleger schaffen den Journalismus ab, weil sie Journalisten ersetzen durch Discountschreiber und Gute-Laune-Moderatoren in den elektronischen Medien des von den Verlegern dominierten Privatfunks.

Billige Journalisten-Darsteller lösen die teuren sich der Aufklärung der Bürger verpflichtet fühlenden Journalisten ab. Die Journalistendarsteller liefern unauffällige Produkte.

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