Gegen Selfie-Journalismus und für Recherche -Laudatio auf Henning Steiner, Journalistenpreis Informatik

Ein Saarbrücker war es, genauer Reinhard Karger, vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz, der hat den gegenwärtigen KI-Hype auf die knappe Formel gebracht „KI ist das neue Bio“.

 

Jeder redet von KI. Die Bundesregierung stellt unausgereifte Strategiepapiere vor. Softwarehersteller loben die KI in ihrer Software, weil die sich so besser verkaufen lässt. Professoren streuen in ihre Projektbeschreibungen noch schnell mal ein halbes „KI“, damit die Förderaussichten besser sind. KI ist zum Bingo-Wort geworden.

 

Und weil Henning Steiner in seinem Beitrag „Selbstlernende Maschinen: Wie künstliche Intelligenz entsteht“, das Bingo-Wort KI auseinandernimmt und das für den Hörer nachvollziehbar tut, hat die Jury ihm den Journalistenpreis Informatik in der Sparte Hörfunk verliehen. Stellen wie diese haben dazu beigetragen

 

 

 

Zuspielung

 

 

 

Allerdings wird an Stellen wie diesen auch deutlich, warum solche Beiträge wie der von Henning Steiner so problematisch sind: Sie rutschen oft in den Selfie-Journalismus ab. Selfie-Journalismus, diesen Begriff hat Juli Zeh im vergangenen Jahr in ihrem Vortrag für die Tübinger Mediendozentur geprägt.

 

 

Und dieser Begriff bringt auf den Punkt, was im Journalismus gerade so furchtbar schief läuft. Journalisten berichten in ihren Beiträgen nicht mehr über ein Thema, sondern sie berichten darüber, wie sie diesen Beitrag gemacht haben, was sie recherchiert haben, wen sie besucht haben, mit wem sie gesprochen haben. Der Journalist wird in solchen Fällen zum Journalistendarsteller. Der Journalist tritt nicht mehr hinter dem Thema zurück, er lässt nicht mehr der Geschichte den Vortritt. Nein, er thematisiert sich selbst.

 

 

Henning Steiner neigt auch dazu – auf den ersten Blick. Aber er hat die Kurve gekriegt, und das sogar ziemlich souverän. Er schildert, wie er mit seinem Sohn begrifflich arbeitet. Er schildert, wie er seine Gesprächspartner am Fraunhofer-Institut in Darmstadt besucht. Er macht also das, was im Augenblick im Journalismus so richtig hip ist, d.h. nein, er kriegt vorher die Kurve. Er lässt seine Gesprächspartner erklären und durchbricht an diesen Stellen den Ansatz zum Selfie-Journalismus.

 

 

Maschinelles Lernen und Mustererkennung, die Erklärungen und Beispiele haben die Jury überzeugt. Hennig Steiner lässt seine Gesprächspartner ausreichend differenzieren. Und er führt diese Differenzierung dann fort. Ein Selfie-Journalist hätte es bei der Schilderung belassen, wie er Gespräch geführt hat.

 

 

Henning Steiner tut das nicht und löst sich, auch noch bei einem Modethema von einer modischen Darstellungsform. Das tut dem Thema gut. Und das erfordert journalistischen Mut. Denn Selfie-Journalismus liegt im Trend, ist zum journalistischen Mainstream geworden und verdirbt Beiträge genauso wie mangelnde Recherche.

 

 

Mangelnde Recherche wird dann durch Fiktionen ersetzt. Die Magazin-Geschichte, einst erfunden von Rudolf Augstein, verleitet zu solchem Tun. Sie verleitet dazu, Wirklichkeit nicht mehr abzubilden, zu rekonstruieren dabei, natürlich. Sie verleitet dazu, Wirklichkeit zu inszenieren. Genauso wie der Selfie-Journalismus. Dass beide Spielarten, Geschichten zu erzählen, Beiträge zu schreiben, den Journalismus in eine tiefe Glaubwürdigkeitskrise gestürzt haben, das muss ich Ihnen wahrscheinlich nicht erzählen, heute Abend.

 

 

In Hamburg hat diese Krise ja kurz vor Weihnachten einen dramatischen Höhepunkt gefunden. Sagen, was ist. Nicht sagen, was sein soll und wie es sein soll. Nachvollziehbare Recherchen. Und im Mittelpunkt eines Beitrags muss das Thema stehen, nicht der Journalist.

 

 

Das macht gute journalistische Beiträge, guten Journalismus aus. Und der soll ausgezeichnet werden mit dem Journalistenpreis Informatik. Im Mittelpunkt dieser Beiträge steht die Informatik, mit ihren Chancen, mit ihren Risiken, mit ihren Entwicklungen. Im Mittelpunkt des hier auszuzeichnenden und ausgezeichneten Beitrags stehen selbstlernende Maschinen. Differenziert geschildert, sauber recherchiert.

 

 

Das ist übrigens auch eines der Merkmale des Journalistenpreises Informatik. Hier geht es nicht um journalistischen und gar nicht so selten abgründigen Zeitgeist, nicht um journalistische Moden. Es geht um die Vermittlung von Informatik-Themen. Da wird in der Jury durchaus hart gerungen um Argumente und Beiträge. Immer spielt die Frage nach den zugrundeliegenden Recherchen eine Rolle. Deshalb finde ich persönlich diesen Preis für diesen Beitrag so wichtig.

 

 

Dieser Preis geht nicht an einen Beitrag, der gnadenlos dem journalistischen Zeitgeist huldigt, und zwar über Jahre nicht. Das ist bei so manchem Journalistenpreis anders. Mit diesem Preis wird solide Recherche und eine saubere Darstellung differenzierter Wirklichkeit ausgezeichnet. Deshalb bedanke ich mich bei Henning Steiner für diesen Beitrag und bei den Kolleginnen und Kollegen der Jury, den Jury-Insassen, für die Diskussion darüber, ganz besonders bei Reinhard Wilhelm, der immer auf die saubere Recherche und daraus entstehende begriffliche Klarheit schaut.

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0

Was kann ein Comiccast?