Was Journalismus kaputt macht - Teil 1

Wir haben einen Glaubwürdigkeitsverlust des Journalismus insgesamt festzustellen, und dieser Glaubwürdigkeitsverlust hat damit zu tun, dass unterstellt wird, wir berichten nicht mehr wahrheitsgemäß. Viele Menschen meinen, wir berichten nicht mehr faktenorientiert, sondern wir würden sozusagen als Agenten von Pressure Groups, von Regierungen oder ähnlichem auftreten.

 

 

 

Zum Teil gab es natürlich auch Entwicklungen in den Medien, die diesen Glaubwürdigkeitsverlust ausgelöst oder auch beschleunigt haben. Das muss man ganz klar sehen. Unsaubere Arbeit, Skandalisierung, parteiliche Berichterstattung. Die Boulevardmedien haben auch ihren Teil dazu beigetragen. Zum Teil ist dieser  Glaubwürdigkeitsverlust natürlich auch nicht nur Journalisten anzulasten, sondern er ist auch ganz gezielt von Initiatoren aus dem politischen Bereich genutzt worden, beispielsweise im Kampf gegen öffentlich-rechtliche Medien.

 

 

 

Wobei man auch hier sagen muss: Darauf haben dann teilweise für öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten arbeitende Journalisten nicht so reagiert, wie sie es sollten. Sie haben sich zum Beispiel nicht ordentlich mit den Vorwürfen auseinandergesetzt. Sie haben sie nicht darauf abgeklopft, wo Fehler gemacht wurden. Zu selten wurde die Frage gestellt: Wo müssen wir etwas verbessern?

 

 

 

Sondern vielmehr wurde auch detailliert vorgetragene und begründete Kritik im Großen und Ganzen einfach zurückgewiesen. Und plötzlich landete dann so mancher, der nachhaltigere Kritik geübt hat an Zuständen im Journalismus, in der Ecke der vermeintlichen „Lügenpresse-Rufer“. Das hat natürlich der Diskussion auch nicht gut getan.

 

 

 

Eine erhebliche Gefahr ist auch der Gesinnungsjournalismus wird, wie Emil Dovifat ihn betrieben und gelehrt hat. In den zwanziger Jahren hat Dovifat als Lehrer der Zeitungswissenschaften einen ausgeprägten Zentrums-Standpunkt vertreten. Nach 1933 merkte er dann, dass die neuen Herren in Deutschland auch Journalisten brauchen, und zwar bevorzugt solche mit der richtigen Gesinnung. Flugs schwenkte Dovifat um und hat sich sehr stark im Sinne der Nationalsozialisten für eine Journalistenausbildung eingesetzt.

 

Seine Gesinnung wanderte also von der Zentrums-Gesinnung der 1920er-Jahre in Richtung Nationalsozialismus. Da war Dovifat dabei. Und er war nach 1945 wieder dabei, genau genommen ab 1949, nämlich als Berater von Adenauer. Die Gesinnung wanderte dann eben in Richtung der christdemokratischen Union.

 

 

 

Gegenwärtig, also im Jahr 2020 müssen wir eine zunehmende Orientierung am Gesinnungsjournalismus Dovifatscher Prägung feststellen. Und das ist in einigen Bereichen sehr gefährlich. Im Februar 2020 hat das sogar noch zu einer Diskussion geführt, von der ich nicht erwartet hätte, dass wir sie heute in Deutschland noch einmal führen müssen.

 

 

 

Das Journalistenzentrum Herne hatte einen Raum nach Emil Dovifat benannt, nach diesem Gesinnungsjournalisten, der auch in seinen Werken übrigens sagt: Mittelpunkt des Journalismus sei die Gesinnung.

 

Und nach diesem Mann hat das Journalistenzentrum Herne einen Raum benannt.

 

Dagegen wurde natürlich zu Recht eingewandt: Im Mittelpunkt des journalistischen Tuns müssen faktenorientierte Darstellungen, müssen Tatsachen stehen. Und mit diesen muss zugleich vermittelt werden, wie Journalisten zur Konstitution dieser Tatsachen gekommen sind, wie sie die Geschichte rekonstruiert haben. Alles das muss mit vermittelt werden, aber eben nicht von einem Gesinnungstandpunkt aus.

 

 

Diese Diskussion im Februar führte dann dazu, dass das Journalistenzentrum Herne darauf hinwies, sie würden eben Volontärsausbildung in der Tradition von Emil Dovifat machen. Deshalb wurde dann über genau diesen Gesinnungsjournalismus diskutiert, vor allen Dingen allerdings auch über Dovifats Gesinnungsjournalismus in der Zeit 1933 bis 1945.

 

Diese Diskussion führte letztlich dazu, dass das Journalistenzentrum Herne den Raum nicht mehr nach Emil Dovifat benannt hat. Das war gut. Aber schlecht war und bleibt: Von diesem Gesinnungsjournalismus haben sie sich so recht nie distanziert.

 

 

Das ist gefährlich, wenn auf diese Weise vermittelt wird in der Journalistenausbildung, dass ein Journalist nach einer Gesinnung schreiben möge. Denn dann entfernt er sich von den Geboten der Objektivität. Objektivität ist natürlich niemals völlig zu erreichen, sie bleibt immer ein Grenzwert. Aber tatsächlich faktenbasiert zu berichten, sich zu verantworten, Quellen zu nennen und offenzulegen, mit diesen Quellen zu arbeiten, auch quellenkritisch zu arbeiten und sich von den Quellen her immer wieder überprüfen zu lassen, das zeichnet methodisch saubere Arbeit im Journalismus aus.

 

Das heißt nicht, dass wir keine Meinung haben dürfen. Die dürfen wir haben, die müssen wir auch äußern. Das heißt aber, dass wir zwischen Nachrichten-berichten auf der einen Seite und Meinungen auf der anderen Seite ganz deutlich unterscheiden müssen. Der Kommentar, die Glosse, der Leitartikel - das sind alles natürlich legitime Formen, Stilformen des Meinungsjournalismus. Aber sie dürfen eben nicht vermengt werden mit Nachrichten, Bericht, Reportage - also mit den Stilformen, die faktenbasiert bleiben müssen.

 

Und weil diese Gesinnung dann auch oft einfach sehr häufig geändert wird, finden wir einen wertlosen oder einen wertlosen Journalismus vor. Und dieser wertlose Journalismus hat damit zu tun, dass letztlich die journalistische Haltung, nämlich die Verpflichtung zur Wahrhaftigkeit, dann nicht mehr so richtig gesehen, gelebt und mit ihr gearbeitet wird.

 

Das ist problematisch, denn das führt dann auch zur Aufgabe der Wächterfunktion. Wer Hofbericht-erstattung macht, kann nicht mehr kritisch über die herrschenden Eliten berichten. Der wird seine Wächterfunktion nämlich auf diese Weise auch nicht mehr wahrnehmen können. Das können wir derzeit beobachten.

 

Einige Journalisten haben ihre Wächterfunktion sogar ziemlich weitgehend aufgegeben, andere nehmen sie nur noch unzureichend wahr. Das hat auch damit zu tun, dass für eine hinreichende, zureichende und ausreichende Wahrnehmung der Wächterfunktion häufig die Mittel in den Redaktionen nicht mehr bereit stehen, ausreichend Zeit für die Recherche zu haben, ausreichend Zeit zu haben, unterschiedliche Quellen und Menschen befragen zu können und dann auch ausreichend Zeit zu haben, diese Geschichte überlegt zu produzieren.

 

 

 

Wir haben es weiterhin mit falschen Abwehrreaktionen der Journalistenverbände zu tun. Das liegt zum Teil daran, dass Journalistenverbände sich in eine sehr bedenkliche Richtung entwickeln. Zumindest beim Deutschen Journalisten-Verband ist das auf Bundesebene so.

 

Das, was wir eigentlich in den 1980er Jahren in einem mehr oder weniger emanzipatorischen Journalismus erkämpft haben, wird aufgegeben. Da schwingen dann plötzlich wieder sehr traditionelle Elemente mit herein, die teilweise sogar in den Bereich gehen, dass wieder so etwas wie eine Journalistenkammer - mal böse gesagt, eine moderne Bundespressekammer - gefordert wird.

 

Wir haben es auch damit zu tun, dass Journalistenverbände in eine Richtung gehen, in der sie dann tatsächlich einseitig auf bestimmte Gesinnungen setzen. Und wir haben es auch damit zu tun, dass Journalistenverbände, die sich dann in diesem Bereich bewegen, fordern: Wir müssen hier neue Formen des Journalismus einführen, um überleben zu können.

 

 

 

Die lassen sich dann von Facebook oder Google finanzieren, oder sie setzen Skandalisierung. Auch da spielt dann oftmals die Gesinnung herein. Auch „Public Relations als Spielart des Journalismus“ zu sehen, gehört in diese Reihe der Fehlentwicklungen.

 

Nicht ganz ungefährlich ist der sogenannte „konstruktive Journalismus“. Denn da gibt es Grenzbereiche. Konstruktiven Journalismus zu betreiben, halte ich nicht von vornherein für verfehlt oder gar gefährlich. Das kann viele Anregungen bieten, und zwar in dem Sinn, dass wir sagen: Okay, wir haben hier ein Problem. Was können wir denn auch Lösungen für dieses Problem mit anbieten? Wir müssen das Problem benennen. Manchmal driftet dann dieser konstruktive Journalismus in einen Bereich ab, dass das Problem nicht mehr ordentlich benannt wird. Und das geschieht dann in einer Tragweite, dass nur noch die schöne neue Welt mit tollen Lösungen geschildert wird. Das ist problematisch.

 

 

 Dann haben wir auf der anderen Seite so einen seichten Unterhaltungsjournalismus. Der funktioniert nach dem Motto: „Alles wird gut, und wir machen immer ein bisschen Unterhaltung“. Da probieren dann Nachrichtensprecher unterschiedliche Krawatten aus und ähnliches.

 

Dann wird es fatal. Denn dann leisten wir die Funktion nicht mehr, Tatsachen so zu schildern, dass wir Diskussionen, auch gesellschaftliche Diskussionen abbilden, damit der Leser, Zuschauer, Hörer sich selbst ein Bild, eine Meinung machen kann. Die meinungsbildende Funktion, indem wir eben keine Meinung vorgeben, sondern indem wir die Voraussetzungen für die Meinungsbildung schaffen, kriegen wir dann häufig nicht mehr hin, weil wir statt der Voraussetzungen im allzu seichten Unterhaltungsjournalismus bleiben.

 

Das ist eine ganz gefährliche Situation. Das Ganze geht einher mit dem Verlust der berufsständischen Reflexion. Es wird nicht mehr ordentlich darauf reflektiert: Welche moralischen Vorstellungen habe ich persönlich? Welche ethischen Maßstäbe gelten denn für moralische Vorstellungen im Journalismus? Ethik wird von mir hier also als die Lehre von der Moral verstanden, ein Standpunkt, der auf eine lange philosophische Tradition zurückblicken kann.

 

Wenn wir diese berufsethische Reflexion nicht mehr so haben, wie wir sie brauchen, dann haben wir natürlich im handwerklichen Bereich auch Probleme, weil dann die Notwendigkeit zu bestimmten handwerklichen Schritten oder zum Einsatz bestimmter handwerklicher Werkzeuge eben auch nicht mehr so klar ist.

 

Dann werden bestimmte Werkzeuge, deren Einsatz berufsethisch geboten ist, nicht mehr so eingesetzt, wie es gefordert ist - beispielsweise in der Recherche. Wenn man diese Diskussion berufsethisch reflektiert, dann muss man sehr klar sagen: Recherche ist ein Bereich, den brauchen wir Journalisten als gut erlerntes Handwerk, damit wir unsere berufsethischen Ansprüche auch einlösen können. Damit wir tatsächlich Löcher in die Dunkelkammer der Mächtigen schlagen können, damit wir tatsächlich beschreiben können, was im Augenblick in dieser Gesellschaft stattfindet, was passiert, was diskutiert wird. Denn das muss abgesichert sein.

 

 

 

Zur Recherche gehört auch immer die Überlegung, sich klarzumachen Mit welchen Voraussetzungen gehe ich an die Recherche? Wie konstituiere ich, auch rekonstruiere ich denn jetzt dieses journalistische Produkt? Genau das muss der Journalist dem Leser, Hörer, Zuschauer zu vermitteln.

 


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