Am 20. Dezember 2024 habe ich dem Intendanten des ZDF, Herrn Dr. Norbert Himmler, per Mail und Briefpost mitgeteilt, dass und warum ich aus berufsethischen Gründen nicht mehr für den Sender arbeiten kann. Die Missachtung journalistischer Standards hat dort über die Jahre zugenommen.
Der Umgang mit der fatalen Berichterstattung des ZDF über ein von der Aktivistengruppe Correctiv vorgelegtes Drama, das von einem Treffen im Landhotel Adlon in Potsdam handelt, eine Berichterstattung in den Nachrichtenformaten des Senders, die zu erheblichen Teilen vom Landgericht Hamburg untersagt wurde (Az: 324 O 439/24), und der Umgang mit den rechtwidrigen Aussagen, die in der Böhmermann-Sendung "ZDF Magazin Royale" über den damals noch amtierenden Präsidenten des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik, Arne Schönbohm, getroffen wurden, haben mir deutlich gemacht, dass ich als Journalist nicht mehr glaubwürdig für diesen Sender arbeiten kann.
Denn glaubwürdige Arbeit setzt zwingend die umfassende Geltung journalistischer Standards voraus. Die wurden vom ZDF zu oft und zu massiv verletzt.
Ich bekam zahlreiche Anfragen mit der Bitte meinen "Brandbrief" zu übersenden. Deshalb veröffentliche ich ihn hier. Jeder kann ihn also lesen und sich seine oder ihre Meinung bilden.
Zweites Deutsches Fernsehen
z. Hd. des Intendanten
Herrn Dr. Norbert Himmler
ZDF-Straße 1
55127 Mainz
Vorab per Mail
Ostrhauderfehn, 20. Dezember 2024
Sehr geehrter Herr Dr. Himmler,
wenn ein langjähriger freier Mitarbeiter des ZDF seinem Intendanten einen Brandbrief schreibt, ist es ernst. Und es ist sogar sehr ernst. Denn in Sachen Glaubwürdigkeit des ZDF brennt die Hütte. Das hat mit der zu weitgehenden Missachtung journalistischer Standards zu tun. Ich werde diesen schon seit längerer Zeit schwelenden Hüttenbrand noch ausführlicher schildern.
Vorab das Wichtigste: Ich kann aus berufsethischen Gründen nicht mehr als freier Mitarbeiter für das ZDF tätig sein.
Unmittelbar auslösendes Motiv für diese Entscheidung ist das Verhalten der verantwortlichen Führungskräfte des Senders in der Affäre „Schönbohm/Böhmermann“. Nach der gestrigen Entscheidung des Landgerichts München I (AZ: 26 O 12612/23) hätte ich erwartet, dass die Senderverantwortlichen Konsequenzen ziehen, Herrn Schönbohm um Entschuldigung bitten und die zweifelsfrei feststellbaren massiven Missachtungen journalistischer Standards aufarbeiten.
Was Jan Böhmermann in seiner Sendung „ZDF Magazin Royale am 7. Oktober 2022 abgeliefert hat, hat mit Journalismus nichts mehr zu tun. Es hat auch nichts zu tun mit typischen Stilmitteln der Satire. Denn auch satirische Zuspitzungen müssen von wahren Tatsachenkernen ausgehen. Ich habe das ja in Diskussionen unter Kollegen mit Verweis auf mein Modul „Journalismus oder Aktivismus? Die Causae Correctiv und Böhmermann“ im Rahme meiner journalistischen Lehrtätigkeit bereits mehrfach ausführlich erläutert. Ich gehe davon aus, dass Ihnen die diesbezüglichen mehrfach vorgetragenen Überlegungen und entsprechenden Schlussfolgerungen bekannt sind. Ansonsten lasse ich Ihnen das Material gern zukommen.
Ich hätte weiterhin erwartet, dass über das diesbezügliche Urteil des Landgerichts unvoreingenommen in den Nachrichtenformaten des ZDF berichtet wird. Weder in der 19:00-Uhr-Ausgabe der Heute-Sendung noch in der späteren Ausgabe des Heute Journals war das am gestrigen Tag der Fall.
Und da kommen wir auch zum schwelenden Hüttenbrand. Der findet im Maschinenraum des ZDF statt, bei den Beitragsautoren, die die feststellbare Missachtung journalistischer Standards zunehmend unerträglich finden. Ich habe darüber mit vielen Kollegen sehr lange und sehr intensiv gesprochen. Böhmermann ist ja leider kein Einzelfall.
Die Berichterstattung über den Correctiv-Text „Geheimtreffen gegen Deutschland“ am 10. Januar 2024 im Heute Journal, gegen die das Landgericht Hamburg am 29. Oktober 2024 eine entsprechende einstweilige Verfügung erließ, ist ein weiteres Beispiel, wie über journalistische Sorgfaltspflichten, Standards und über journalistisches Methodenwissen einfach hinweggegangen wird.
So wird der im Stil eines Dramas geschriebene Correctiv-Text in der Anmoderation der Heute-Sendung vom 10. Januar 2024 fälschlicherweise als „Bericht“ bezeichnet. Es wird nicht darauf hingewiesen, dass ein Drama ganz andere Zugangsvoraussetzungen für eine Aussagenüberprüfung aufweist als ein journalistischer Bericht. Zudem wird bezüglich der Quellen im Heute Journal Update am 10. Januar 2024 nicht weiter nachgefragt:
Es gibt zwar die Moderatorinnenfrage: „Herr Bensmann, wie belastbar sind Ihre Quellen?“. Die Antwort bleibt ausweichend: „Unsere Quellen sind recht belastbar. Wir haben Dokumente, wir haben Kopien von Briefen, wir haben Fotos von innen und von außen, wir haben Filmaufnahmen und wir haben Quellen, die uns das, was dort gesagt wurde, sehr, sehr vertrauensvoll übermittelt haben, sodass wir davon ausgehen und dafür sicher sind, dass diese Quellen oder dass die Geschichte, die auf diesen Quellen beruht, stimmt.“
Hier hätten dringend weitere Details zur Quellenlage nachgefragt werden müssen.
Mir sind zudem keinerlei Gegenrecherchen zur Überprüfung der von Herrn Bensmann behaupteten Quellenlage bekannt.
Im Gegenteil: Laut Mitteilung von Rechtsanwalt Dr. Carsten Brennecke hat das ZDF vor Gericht argumentiert, dass „im Rahmen der tagesaktuellen Berichterstattung eigene Nachrecherchen aus Zeitgründen in aller Regel nicht möglich seien".
Das ist für Rechercheure und Beitragsautoren wie mich, die unter großen Zeitdruck, Beiträge wie die über die Snowden-Dokumente (2013), das angreifbare Kryptohandy der Kanzlerin (2014), Satellitenfotos zum MH17-Absturf (2015), Cyberterror gegen Atomanlagen (2016), Riskante Sicherheitsdateien des Bundes (2017), Patientendaten als Erpressungsmittel (2018), Facebook überwacht Konzern-Gegner (2019), Schwachstellen der Corona-Apps (2020), Angriffe über Exchange-Server (2021), Millionenverschwendung für unnötigen Gerätetausch bei Ärzten (2022) – um nur mal einige wenige Beispiel zu nennen – ein Schlag ins Gesicht.
Wobei sich Autoren wie ich beide Beine ausgerissen haben und die Arme oftmals dazu, das ist also aus Zeitgründen in aller Regel nicht möglich? Es wird auch nicht als notwendig erachtet?
Eine stärkere Missachtung von Autorenleistungen, bei denen journalistische Sorgfaltspflichten skrupulös beachtet wurden, bei denen für die seriöse und korrekte Umsetzung journalistischer Standards auch mal eine Nacht oder ein ganzes Wochenende durchgearbeitet wurde, die dank intensiver selbstkritischer Prüfung anhand geltenden journalistischen Methodenwissens zustande kamen, eine stärkere Missachtung kann ich mir gar nicht vorstellen.
Das hat dazu geführt, dass ich Ihnen nun diesen Brandbrief schreibe. Ich werde meinen Brandbrief auch öffentlich machen. Spätestens nach dem am gestrigen Tage erlebten Umgang im Sender und des Senders mit der Causa Böhmermann wurde eine Entscheidung notwendig. Und die hängt von der Beantwortung der Frage ab: Kann ich noch glaubwürdig als Journalist für diesen Sender arbeiten?
Glaubwürdige Arbeit setzt zwingend die umfassende Geltung journalistischer Standards voraus. Die wurden zu oft verletzt. Und es passierte danach wahrnehmbar nichts. Das stellt dann auch die eigene Arbeit für das Haus massiv in Frage.
Vor einigen Jahren sagte ich in einem medienpolitischen Interview mal, dass ich neben meiner Arbeit für den Deutschlandfunk als publizistischen Zweitwohnsitz das ZDF bezeichnen würde. Daran lässt sich vielleicht ermessen, wie schwer mir diese Entscheidung fiel.
Ich wage trotzdem noch, meiner Hoffnung Ausdruck zu verleihen, dass nach diesem Brandbrief eines freien Mitarbeiters mit 40jähriger Berufserfahrung als Journalist der schwelende Hüttenbrand im Maschinenraum erkannt wird und endlich etwas in Sachen Brandbekämpfung getan wird.
Ich selbst will durch meine Kritik und – helfende, konstruktiv gemeinte – Hinweise dazu beitragen. Aber es ist mir nicht mehr möglich, unter diesen Voraussetzungen noch journalistische Beiträge zuzuliefern. Ich hatte zwar mit Eintritt in den Ruhestand im Spätsommer dieses Jahres zugesagt, mich nicht völlig aus der Arbeit für das ZDF herauszuziehen. Aber ich muss das jetzt tun, um glaubwürdig zu bleiben.
Wie soll ich, der ich noch immer junge Journalisten ausbilde, die Notwendigkeit journalistischer Standards begründen können, wenn ich journalistisch für einen Sender arbeite, in dem sie an entscheidender Stelle nicht mehr gelebt werden, teilweise missachtet werden?
Mit sorgenvollen Grüßen
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Rudolf (Sonntag, 27 April 2025 16:19)
Danke für die ehrlichen Worte, allein mir fehlt der Glaube das beim ÖRR endlich das Problem erkannt und angegangen wird.
Die Beiträge - Kinderchor - Meine Oma ...
bis zu 70-jährige töten um Arztermin frei zu machen sind weitere nicht mit Satire zu deckende Ungeheuerlichkeiten
Dazu kommen dann noch die Raffkes beim ÖRR - stellvertrend sei hier das Problem beim RBB aber auch beim NDR, WDR und BR genannt.
Jan Kupzog (Sonntag, 27 April 2025 20:52)
Chapeau.
Barbara N (Sonntag, 27 April 2025 22:30)
Herzlichen Dank für Ihr Rückgrat! Das lassen heute leider viel zu viele Journalisten vermissen.
Daniela Ströhmann (Sonntag, 27 April 2025 22:43)
Danke, Herr Welchering. Für Ihren Mut, Ihre Offenheit und Ihre Standhaftigkeit. Mögen Ihnen viele folgen und so neues Vertrauen in den Journalismus das Ergebnis sein!
David (Sonntag, 27 April 2025 22:46)
Vielen Dank für diese Worte!
Früher hatte ich Angst, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der ständiger Begleiter meines Lebens war, auszuschalten, weil ich etwas verpassen könnte.
Heute habe ich Angst, einen beliebigen ÖRR-Sender anzuschalten, weil ich das Framing, behindertenfeindliches Gegendere und tendenziöse Berichterstattung als Zumutung und Beleidigung empfinde.
Klaus (Sonntag, 27 April 2025 23:17)
Danke Herr Welchering! Das hat leider System mit der Propaganda im ÖRR. Eine kleine Auswahl an Belegen findet sich auch auf dem "ÖRR Blog" auf der Plattform X. Wer sieht, was da gezigt wird, könnte meinen, man hat es mit dem Staatsfernsehen der DDR zu tun.
Tom (Montag, 28 April 2025 00:27)
Kann es vielleicht sein dass das, was im Sender passiert, so passiert weil es genau so gewünscht ist ?
Jan (Montag, 28 April 2025 05:59)
Leider ist es anscheinend wieder Standard, zu ideologisieren, propagieren und Mauern zu errichten, wenn auch nur in den Köpfen.
Ulrike (Montag, 28 April 2025 07:21)
Ja, ich sehe das schon lange in den öffentlich-rechtlichen. Was die an Berichterstattung bringen, ist haarsträubend und ein Herr Böhmermann ist eine Katastrophe. Leider kommen diese Berichte nur einer Partei zugute. Es ist die AfD, aber das haben die öffentlich-rechtlichen noch nicht kapiert
Horst G. Fischer (Montag, 28 April 2025 09:53)
Danke, Herr Welcherin. - Wir wissen es alle seit spätestens April/Mai 2020 mit welchen Mitteln, der ÖRR die Regierung einseitig unerstützt, zu einem Propagandafunk verkommen ist und ihrem Rundfunkauftrag vorsätzlich verletzt. Umso wichtiger sind Wortmeldungen wie Ihre.
F.M (Montag, 28 April 2025 10:55)
Und über die IDF Pressestelle ZDF, welche unkritisch und unkommentiert die Israelische Armee Pressemeldungen weitergibt wird hier nicht gesprochen?
S. Knauer (Montag, 28 April 2025 11:07)
Danke für den Mut, diese unsäglichen Machenschaften öffentlich anzusprechen und anzuprangern. Seit 2015 wurde deutlich spürbar , die unabhängige, neutrale Berichterstattung durch Propaganda und Meinungsmache ersetzt. Der ÖRR ist lange schon nicht mehr vertrauenswürdig!!!!!
Heinz-Dietrich Pakusch (Montag, 28 April 2025 12:32)
Danke, danke, danke. Sie sprechen mir aus dem Herzen. In vielen Programmbeschwerden habe ich ständig diese linksgrün versiffte Haltung des öffentlich rechtlichen Rundfunks angeprangert, bisher für mich ohne sichtbaren Erfolg. Aber steter Tropfen höhlt ja bekanntlich den Stein. Auf eine bessere Zukunft im ör Rundfunk mit einem seriösen, sachlichem, neutralen und unabhängigen Journalismus.
PT (Montag, 28 April 2025 12:36)
Herzlichen Dank, Herr Welchering!
Wir wissen es doch längst: Was die politische Agenda stört, muss weggesendet, weggeschrieben oder eben verschwiegen werden. Früher war die parteipolitische Vorzeichenregelung bloß Verlagssache; heute wird sie wieder von der Mitmachbereitschaft der Vielen dekretiert. "Das Gesetz ändert sich, das Gewissen nicht", schrieb Sophie Scholl.
Klenke (Montag, 28 April 2025 12:44)
Sehr geehrter Herr Welchering,
Herzlichen Dank für Ihre Mühe und Ihren Mut!
Gemäß Ingeborg Maus et al. ist der gleichberechtigte Zugang zu objektiven Informationen für alle Bürger notwendige Voraussetzung für das Funktionieren jeder demokratischen Grundordnung.
Die von Ihnen erwähnten journalistischen Standards basieren auch, jedoch nicht ausschließlich, auf dieser Voraussetzung.
Verletzt eine Institution dieses Kriterium, könnte daraus geschlossen werden, dass das Verhalten dieser Institution kontrademokratische Elemente enthält.
Sie hingegen sorgen sich im besonderen Maße um diese Frage. So schliesse ich, dass Sie ein Demokrat von Herzen sind.
Ich vermute, dass Ihnen nun mit ganz unterschiedlichen Werkzeugen entgegen getreten wird. Zunächst einmal das Ignorieren. Die weiteren Eskalationsstufen sind Ihnen sicher bekannt.
Der Demokrat in mir ist in tiefer Sorge und ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass das Jahr 1984 solche Entwicklungen bereit hält.
Bernd (Montag, 28 April 2025 20:31)
Vielen Dank. Sie sind ein Vorbild für viele junge Kollegen und ein Hoffnungsschimmer für die Demokratie - die wahre Demokratie, nicht die der medial dominanten Netzwerke. Ihnen alles Gute!