Liebe ist - auch nur eine Big-Data-Anwendung

Laudatio auf Christian Weber anlässlich der Verleihung des Journalistenpreises Informatik am 15. Januar 2015 in Saarbrücken

 

 

 

„Liebe ist… wenn sie sich berechnen lässt“, so hat Christian Weber seinen in der Süddeutschen Zeitung erschienenen Beitrag überschrieben, der den Journalistenpreis Informatik in der Sparte „Print“ erhält. Liebe ist ein Fall für die In-Memory-Technik, sagen die führenden Partnervermittlungsagenturen. Und sie haben recht. Denn es geht darum, Emotionen der Menschen zu erkennen und zu verarbeiten, ihre Stimmungen zu analysieren und daraus Schlüsse zu ziehen. Mit anderen Worten: Liebe ist auch nur eine Big-Data-Anwendung und ihre Qualität somit abhängig von der Qualität der Algorithmen, die aus den angelieferten Daten Emotionsmuster errechnen und aus den Emotionsmustern Partner-Wahrscheinlichkeiten errechnet haben.

 

Die Vision sei, so schreibt Christian Weber, dass Computer uns auf der Basis unserer Emotionsdaten eine sensible Umwelt einrichten. Eine sensible Umwelt ist auch immer eine überwachte Umwelt. Aber das haut uns Christian Weber nicht so brutal um die Ohren, wie ich es heute Abend hier tue. Nein, er bringt das fast philosophisch auf eine Formel, die an Walter Benjamin erinnert: "Die Emotionen haben das Zeitalter ihrer technischen Erkennbarkeit erreicht“.

 

Und damit macht Christian Weber es uns leicht, eine geradezu unerhörte Wahrheit allmählich annehmen zu können. Und diese Wahrheit lautet: wir vertrauen selbst unsere Stimmungen und Gefühle algorthmischen Systemen an, wenn diese uns dafür loben, anerkennen und knuddelig lieb haben. Und da bleibt Christian Weber, im Unterschied zu mir, ein durch nichts zu erschütternder Optimist. Er zeigt auf: "In Zukunft muss jeder selbst entscheiden konnte, ob er's angenehm oder bedrohlich findet, wenn Computer und Robotergefühle lesen und autonom handeln."

 

 

Dabei verschweigt er uns gnädig, dass wir nur noch sehr unzureichend darüber entscheiden kommen können, ob Gefühle und Stimmungen von Algorithmen bearbeitet, analysiert und in einen Zusammenhang gesetzt werden. Das macht es dem unbelasteten Leser leichter, sich darauf einzulassen, was denn passiert, wenn Liebe letztlich auch nur das Ergebnis einer Big-Data-Analyse geworden ist. Das ist eines der größten Verdienste dieses mit leichter Feder geschriebenen Beitrags von Christian Weber.

 

Und ich muss Ihnen gestehen, ich habe mich zunächst geärgert, als ich diesen Artikel gelesen habe und dort die Aussage fand: "Dabei ist es vermutlich noch zu früh, sich vor Big-Brother-Szenarien zu ängstigen.“  Mein Gott, entfuhr es mir, dieser naive Kollege. Haben wir doch alles längst, und Orwells 1984 ist vollkommen lächerlich verglichen mit dem, was heute möglich ist. Aber dann schildert Christian Weber konkrete Anwendungsfälle, zum Beispiel den berühmten Google-Algorithmus, der die Kündigungsabsicht von Mitarbeitern frühzeitig erkennen soll, und er kommt zu dem Schluss: Ironie und Sarkasmus würden wahrscheinlich schwierig zu erkennen bleiben. Und das lässt mich nachdenklich werden.

 

Da hat er recht. Und deshalb ist dieser Beitrag Journalisten preiswürdig: denn Christian Weber zeigt die letzten Reservate, die sich der Algorithmen schon Berechnung widersetzen. Er schöpft aus Ihnen mit seienr Schreibe. Und er gibt uns damit eine Perspektive, wie wir uns dieser algorithmischen Berechnung widersetzen können. Sein Rezept dafür: die poetische Betrachtung dessen, was in Algorithmen schon Systemen passiert. Das ist eine ungewohnte Perspektive, eine Perspektive, die Fachautoren, die uns Fachjournalisten aufregt. Aber es ist eine notwendige Perspektive, natürlich eine legitime Perspektive, die uns aufzeigt, dass wir uns von vornherein gar nicht notwendigerweise der Übermacht von Algorithmen ausliefern müssen. Die „platte Mathematik“, die für „das schönste der Gefühle sorgt“, zeigt einen Weg. Wir entscheiden, die Leser, Konsumenten und Bürger, in welches Verhältnis wir für uns selbst mit unserer Rationalität und Emotionalität setzen wollen und wie wir beides berechnen lassen wollen, wenn wir es denn berechnen lassen wollen, und wir entscheiden, was der Wert dieser Berechnung für uns eigentlich ist.

 

Es kommt also auf unser Verhältnis zu den Algorithmen an. Christian Weber kann mit seinem Text Leser anstiften, sich in diese Auseinandersetzung einzumischen. Darin liegt der preiswürdige Wert dieses Beitrages. Wir brauchen solche Anstiftung, sich in die Sache der Datensouveranität stärker einzumischen. Denn die Politik, genauer: die Politiker versagen hier. Die jüngste Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung zeigt das nur allzu deutlich. Wer Datensouveranität will, muss sie sich erkämpfen. Dazu stiftet der Beitrag von Christian Weber an, das macht er deutlich. Das ist wertvoll und peiswürdig.

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