Reformrufe aus dem journalistischen Maschinenraum

Eine ähnlicher Beitrag von mir erschien in Ausgabe 6/2022 des Wirtschaftsjournalist auf Seite 72

 

 

Die 1980er haben angerufen: Sie wollen ihren öffentlich-rechtlichen Rundfunk zurück...

 

 

...Das könnte man meinen, wenn man die gegenwärtige Debatte um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk verfolgt. Tatsächlich war bei ARD und ZDF früher vieles besser, zum Beispiel in Sachen Binnenpluralität und Recherche. Aber in der gegenwärtigen Situation hilft rückwärtsgewandte Biedermeierlichkeit nicht weiter. Und Reförmchen tun es auch nicht mehr. Wir brauchen einen Neuanfang. Doch wie könnte der aussehen? Ein paar Ideenskizzen.

 

 

 

Ich arbeite seit 1983 im und für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Ich habe also die guten Zeiten noch miterlebt, in denen man für eine richtig tiefe Recherche auch mal zwei oder drei Wochen Zeit hatte, zu Informanten reisen konnte und sich anschließend in der Redaktion hart, aber kollegial über den Beitrag auseinandersetzte. Ich habe die Zeiten miterlebt, in denen die Ergebnisse einer Recherche, wie die Planspiele zum Verkauf biometrischer Daten im Innenministerium im Jahr 2006, redaktionsübergreifen und sogar senderübergreifend diskutiert und gesendet wurden.

 

 

Heute haben wir es mit einer völlig anderen Situation zu tun. Zu viele Hierarchen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk kümmern sich nicht mehr um das Programm. Nicht wenige haben den Kontakt zum journalistischen Maschinenraum einfach verloren. Wir Beitragsmacher erhalten keine Weisungen „von oben“, wie wir unsere Beiträge zu machen haben, wie so oft verschwörungstheoretisch gemunkelt wird.

 

Nein, wir erhalten einfach nicht mehr das Budget, um gutes Programm zu machen. Auf der politisch-publizistischen Brücke ist nicht allen, aber zu vielen Kapitänen egal, wie das Programm ihres Senders aussieht. Es muss nur irgendwas mit „digital“, und „Social Media“.

 

 

Gleichzeitig werden Fachautorinnen und – autoren mit ihrer hohen Expertise und teilweise langjährigen Erfahrung immer stärker durch Generalisten ersetzt. Die seien preiswerter, würden weniger selbstbewusst auftreten, sich nicht an inhaltlichen Punkten aufhalten und deshalb einfacher zu handeln, sagte mir ein Hierarch. Und auch das hat den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in die schwerste Krise seit seiner Gründung gebracht.

 

 

Eine Umfrage von Ipsos hat ergeben, dass 35 Prozent der Bundesbürger ihn abgeschafft sehen möchten. Das hat sehr unterschiedliche Gründe. Ich bin viel unterwegs, rede mit Hörerinnen und Zuschauern.  Deshalb beanspruche ich etwas mehr als nur anekdotische Evidenz.

 

 

Ich höre dabei immer wieder von den Kritikern, dass der ÖRR an ihrer Lebenswirklichkeit vorbeisende, dass über ihre Sorgen und Nöte der Gegenwart, ihre Ängste vor künftigen Entwicklungen nicht berichtet werde. Ich höre von denen, die unsere journalistischen Produkte nutzen, dass sie sich als Zuschauerinnen und Hörer unterfordert und unterschätzt fühlen. Ich höre, dass sie großen Wert legen auf die Trennung von Meinung und Faktendarstellung.

 

Sie machen mir sehr klar, dass sie die nicht nur im ÖRR, sondern im gesamten Journalismus zunehmenden gesinnungsjournalistischen Beiträge ablehnen. Unsere Zuschauerinnen und Hörer wollen von uns nicht belehrt werden, sie wollen das Wissen präsentiert bekommen, das Grundlage ihrer eigenen Meinungsbildung sei kann, keine vorgefertigte Meinung. Und deshalb erwarten sie saubere und nachvollziehbare Recherche mit stringenter Quellenanalyse von uns.

 

 

Das mit der Recherche klappt aber zunehmend nicht mehr. Dafür fehlen die Ressourcen. Dafür wird nicht mehr ordentlich ausgebildet. Dafür fehlt angeblich die Zeit. Und so entstehen Fehler in der Berichterstattung. Die werden dann viel zu oft nicht einmal transparent korrigiert. By the Way: Wenn ich in den 198oer Jahren in die Redaktion kam und sagte: „Ich habe da einen Fehler gemacht“, dann galt diese Ansage als Zeichen guten journalistischen Handwerks.

 

Denn Menschen machen Fehler, aber wenn sie die erkennen, dann müssen die Fehler korrigiert werden und dem Urheber, der an der Korrektur mitwirkt, gebührt Anerkennung, dass er seine persönliche Befindlichkeit dem allgemeinen Erkenntnisinteresse unterordnet. Diese Fehlerkultur ist verlorengegangen.

 

 

Wir haben also viel zu tun im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Den Skandal beim RBB sehe ich deshalb auch nur vordergründig in Massagesitzen und vorgeöltem Parkett. Der eigentliche Skandal liegt darin, dass sich die Kommandobrücke überbewertet und den Maschinenraum unterbewertet.

 

Das zeigt sich in den zahlreichen Hierarchiestufen und den Finanzierungsstrukturen: Die Tochterunternehmen und deren Subunternehmen haben, mit ihrem Honorardumping und ihrer Tarifflucht dazu geführt, dass so viele Journalistinnen und Journalisten unterbezahlt und unterbewertet sind. Eine Fehlerkultur gibt es aber nur selbstbewussten Journalisten und Journalistinnen, deren Arbeit von der Führungsebene richtig eingeschätzt und wertgeschätzt wird. Das setzt Führungskräfte voraus, die effektiv und transparent arbeite und Kritik zulassen. Wir haben also viel zu tun im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

 

 

 

 

 

10 wichtige Reformpunkte für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk

 

 

 

1.      Wildwuchs in den Hierarchien des ÖRR durch mehr Mitbestimmung beseitigen

 

2.     Gehaltsstrukturen anpassen, Abbau von Luxusgehältern auf AT-Ebene

 

3.      Abschaffung Parteienproporz in den Führungsetagen

 

4.      Stärkung der Programm-Macher, insbesondere der Freien (Autorinnen-Rundfunk)

 

5.      Liquidierung der Subunternehmen. Tariftreue der Anstalten

 

6.      Schluss mit dem Beraterunwesen, stattdessen stärkere Nutzung von Kompetenzen der Mitarbeitenden

 

7.      Altersversorgung anpassen (gesetzl. Rentenversicherung, ARD-ZDF-Pensionswerk statt üppiger betrieblicher Ruhestandsgehälter

 

8.      Neustrukturierung der Rundfunkräte als echter Kontrollinstanz, Wahlen statt Entsendung

 

9.      Prüfung bzw. Abschaffung von unnötigen Doppelstrukturen

 

10.   Transparenz der Gremienarbeit

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Heiko Meyer (Sonntag, 20 August 2023 13:36)

    Sehr richtig, aber leider wohl auch ebenso utopisch.
    Die Realisierung auch nur einiger, wenigstens eines einzigen Punktes, erscheint mir aktuell nicht realistisch.
    Dennoch muss natürlich auch weiterhin darüber nachgedacht und diskutiert werden.
    Denn: Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei.

  • #2

    Benno Wüst (Sonntag, 20 August 2023 20:02)

    Gesinnungsjournalismus zeigt sich auch in der Sprache und da machen Sie leider keinen Unterschied.

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