13. Kapitel

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Vito brauste mit quietschenden Reifen los, und die Männer auf dem Rücksitz kollidierten aufs Neue. Als Schlemen wieder gerade zu sitzen kam, sah er, dass Toto einen Totschläger gezückt hatte. Fast hätte er sarkastisch „Wie subtil!“ gerufen, doch die Worte blieben ihm im Halse stecken. Das war kein Krimi mit flotten Sprüchen, dachte er. Das war sein Leben. Die verbliebene, pappige Süße des Likörs in seinem Mund vermischte sich langsam mit einem anderen, metallischen Geschmack. War er tatsächlich in Gefahr? Er, Mitglied der Elite von Deutschland? Beim Frühstück hatte er noch lediglich unter Mordverdacht seines zwielichtigen Geschäftspartners Kiel gestanden, doch jetzt steckte er wirklich in der Klemme.

Vito heizte den BMW in der einsetzenden Dämmerung weiter in Richtung Neckarstädter Industriegebiet. Nur noch vereinzelte Wohnhäusern waren im Abendrot auszumachen, umgeben von immer größeren Feldern und Lagerhallen. Jetzt musste Schlemen souverän handeln, soviel war klar. Einfach die Autotür aufreißen und los rennen, das ging jetzt nicht mehr. Zu Fuß auf weiter Flur, mit zwei Italo-Brutalos und den Bayerischen Motorenwerken auf den Fersen – da blieb dem Bürgermeister keine Chance. All die Abende beim „Corleone“, all die staatsmännischen Zigarren der letzten Jahre hatten an seiner Kondition genagt. Sport war nie seine Stärke gewesen. Aber verhandeln, das konnte er.  Ohne ein gewandtes Wort hie und da wäre er nie in Berlin gelandet.

„Entschuldigen Sie – was geht hier eigentlich vor?“, überwand sich Schlemen schließlich zu fragen, in einem Ton der, wie er hoffte, eine gelassene Autorität vermittelte. „Was will der Kiel von mir, dass er solche Schläger schicken muss?“ Toto grunzte verärgert. Vito schien die Frage nicht gehört zu haben. Sekundenlang fuhr er einfach weiter geradeaus, auf den wachsenden Schatten zu. Dann wand er Schlemen sein Gesicht zu, wie in Zeitlupe, und belehrte ihn: „Ich, mit Verlaub, binne keine Schläger. Ich bin Mitglied eine alten und angesehenen Organisation, Signore Oberbürgermeister, und ich führe meine Amt nur in die absolute Notfall mit Gewalt aus.“ Vito wandte seinen Blick wieder auf die Straße. „Handelt es sich hier um einen Notfall?“

„Um Gottes Willen, nein!“ rief Schlemen „Ich möchte ja nur wissen, was ihr mit mir vorhabt. Wenn Kiel wichtige Dokumente hat, warum bringt er sie mir nicht? Und warum bezieht er weitere Personen mit ein?“ Vito schwieg, diesmal mit Nachdruck. Toto grunzte.

Schlemen musste seine Strategie ändern. Wenn jemand so vehement blockte, war eine besondere Waffe gefragt: Small Talk. „Sie sind aus Italien ja? Bella Italia? Woher denn genau?“ Vito lächelte dünnlippig. „Sicilia!“„Ah! Sizilien! Nero D’Avola … ein besonderes … Terroir!“ - „Sie kennen Wein?“ fragte Vito, sein Ton noch immer geschäftsmäßig kühl, aber jetzt mit dem leicht angehobenen Ton echten Interesses. „Vino, ja“, Schlemen, erleichtert einen Schwachpunkt in Vitos glatter Fassade gefunden zu haben, plapperte jetzt mit ziellosen Elan, „und das Essen! In Sizilien habe ich den besten Fisch meines Lebens gegessen, das ist eine Küche … cucina, ja? Exquisit!“

Vitos Lächeln ließ die Temperatur des Gefährts sinken. „Nicht mehr lange. Der Küste iste überfischt. Die Fische werden industriell gezüchtet und mit Antibiotika voll gestopft. Da schmeckte man nichts mehr. Meine Famiglia – das waren stolze Fischer seit dreizehn Generationen. Unsere Sofia war die größte und schönste Fischerboot der Insel. Jetzt lässt sich damit nichtse mehr verdienen.“ - „Oh“, sagte Schlemen. Einen öko-ekonomischen Vortrag dieser Art hatte er nicht erwartet. „Si“, Vito drehte sich um und fixierte den Bürgermeister mit Augen grau wie Beton: „Aber Gott sei Danke gibt es in diese Gegend ja noch alternative Karrieremöglichkeiten.“

Mittlerweile war es dunkel geworden, und Kiels Bauhof – verlassen, und in Schatten getaucht – kam näher. Die zahllosen Lastwagen und Betonmischer erschienen Schlemen unnötig riesig, irgendwie bedrohlich. Wie heidnische Statuen, dachte Schlemen noch. Und dann wurde es ganz dunkel um ihn. Schlemen sah Sterne – keine metaphorischen, sondern echte, die heute am unbedeckten  Nachthimmel standen. Denn als der Bürgermeister wieder zu sich kam, fand er sich in der Horizontalen. Rechts, links und vor ihm erhoben sich schmutzige Spanplatten wie ein provisorischer Sarg, seine Glieder waren mehrfach durch rostige Armierungseisen fixiert, wie er mit einem panischen Blick feststellte. „Hattest du wirklich gedacht, wir würden auf so ein Würstchen wie dich Rücksicht nehmen?“ erklang die Stimme von Wolfgang Kiel.

Das Gesicht des Chefs der Komet Bauträger GmbH schob sich zwischen die Sterne des Abendhimmels. Mit hämischem Grinsen blickte er dem Gefesselten ins Gesicht. „Du bist ein Risiko geworden! Völlig untragbar!“ „Aber ich habe Mitsch doch gar nicht …“, winselte Schlemen. „Das wissen wir!“, fauchte Kiel. „Einen Mord würden wir dir eh nicht zutrauen“, fügte der Bauunternehmer an. „Dafür haben wir …“ – Ein ohrenbetäubendes Lärmen unterbrach Kiel, in den Ohren Schlemens eine Mischung aus massivem Poltern und feuchtem Gluckern.

Der Bürgermeister fühlte, wie sein Rücken und die Seiten in Feuchtigkeit getaucht werden. Panisch riss er den Kopf nach oben. Erblickte eine graue Fläche, die seinen Spanplattensarg zu füllen begann. Nur noch sein Kopf, die italienischen Maßschuhe und der füllige Bauch ragten aus der Masse hervor. Flüssiger Beton! „Nein!!“ entfuhr es Schlemen. Das Lärmen verstummte so plötzlich, wie es begonnen hatte. Mit vor Schrecken aufgerissenen Augen sah Schlemen seine Peiniger am Fußende des Sargs stehen. Toto, mit dem offenen Mund eines staunenden Kindes, hielt das Ende eines Stricks –  fast wie den Abzug eines altmodischen Wasserklosetts, wie Schlemen zur eigenen Überraschung Zeit fand zu registrieren. Vito, dicht vor ihm, zischte seinen Kumpanen in gedämpftem Italienisch an, dabei gestikulierend, wie es Gewohnheit der Südländer ist.

Auch Kiel wand Schlemen den Rücken zu. „Hatte ich nicht gesagt: Auf mein Zeichen!“, herrschte er die beiden Italiener an. „Si si, signor“, stammelte Toto. „Alles klar, Chefe“, sekundierte Vito. Kiel verharrte noch eine Sekunde, drehte sich dann zu Schlemen zurück. „Einen Mord würden wir dir eh nicht zutrauen“, fuhr der Bauunternehmer fort, als wäre die kurze Unterbrechung gar nicht vorgefallen. „Dafür haben wir schließlich Experten.“

Mit grandioser Geste wies er hinter sich, wo Toto und Vito standen. Ersterer hielt wieder den Abzug des Flüssigbetondepots, letzterer stand neben seinem übergewichtigen Kumpanen, den rechten Arm wie ein Dirigent erhoben. „Oder hattest du gedacht, dein Freund im Innenministerium und euer schmutziges kleines Geheimnis würden dich retten?“, deklamierte Kiel, mit seinen Blicken Schlemen fixierend, ganz so als würde er von diesem eine Antwort erwarten. „Aber Gscheid-…“, stammelte Schlemen, Beton spuckend. Warum sollte ihm Gscheidhammer helfen, ging ihm dabei durch den Kopf, schließlich war er es doch, der bei Gscheidhammer „Schulden“ hatte seit diesem Autounfall vor 15 Jahren.

Mit herrischer Miene und offensichtlich ungehalten, dass seine beiden Handlanger ihm die innerlich mehrmals geprobte Grabrede durch ihre Tölpelhaftigkeit verpatzt hatten, gestikulierte Kiel in Richtung Vito und Toto. Vito reagierte mit fragender Miene. „Nun macht schon!“ fauchte Kiel. Mit dramatischer Geste senkte Vito den Dirigentenarm. Doch nicht ohne ein bestätigendes „Si si!“ abgewartet zu haben, betätigte Toto den Abzug. Nach wenigen Sekunden nur hatte sich die Schalung völlig mit Beton gefüllt. Ein paar Luftblasen stiegen noch aus der zähen grauen Masse auf, ansonsten sah es so aus, als wäre der Bürgermeister von Neckarstadt gar nicht auf dem Bauhof gewesen. Fast so, denn auf der Oberseite der neuen Betonplatte, genau da, wo der füllige Bauch des Stadtoberhaupts aus dem Beton geragt hatte, zeichnete sich schwach das Relief der Medaille ab, die Bürgermeister Schlemen die ganze Zeit an der dicken Kette um seinen Hals getragen hatte.

 

Die Kapitel 11 bis 13 wurden von Nicolas Baumgärtner, Petra Brumshagen, Sofia Delgado, Ralf di Grazia, Laura Konrad, Nina Maria Klofac, Oliver Lobschat, Martin Posset und Agnieszka Schneider geschrieben.

 

Hörbuch: Mail-Mord in Neckarstadt - 13. Kapitel
kapitel-13.mp3
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